Christbaumkugel

Artefakte moderner Archäologie

Christbaumkugel
48x60x48 mm
Glas mit Silbernitratlegierung
Fundort: Leipzig
gefunden am: 12. April 2011

Die Christbaumkugel aus der Massenproduktion. Handdekoriert und bemalt. Hergestellt in Tschechien. Fallengelassen in Leipzig. Dazwischen dunkle Jahre in der Schachtel. Tragisch. Aber es sind ja noch ein paar andere da.

Das Einzelschicksal und traurige Ende einer Kugel. Alle Jahre wieder. In tausenden von Haushalten.

Es war Frühling. Die Sonne schien und die Staubflusen tanzten in der Luft. Also höchste Zeit für den klassischen Frühjahrsputz. Was uns da in die Hände fiel, war eigentlich schon längst in Vergessenheit geraten. Diese braungraue alte Pappschachtel, zusammengefaltet und fixiert durch rostige Tackerklammern, welche sie dennoch nicht vor dem allmähligen Auseinanderfallen bewahren können. Diese tschechisch-anmutende Schrift auf dem Rand der Verpackung und der modrige Geruch lies Erinnerungen in uns aufkommen an ein etwas anderes Weihnachten. Ohje, also das klingt schon ziemlich dramatisch, aber am Ende war es das auch, zumindest ein wenig.

Wir öffneten also diese raue Verpackung und da waren sie: Fünf Christbaumkugeln, welche die Farbigkeit von 50 hatten. Eine trashiger als die Andere, aber zu DDR-Zeiten, laut Hörensagen, gab es ja nichts woran man sich erfreuen konnte, eben voll der Renner dieses Produkt aus der Sowjetunion.
Wie es die Ungeschicklichkeit oder das Schicksal, die Ursache ist bis heute noch nicht geklärt, so wollte, sollte eine von diesen Kugeln das letzte Mal das Sonnenlicht in ihren Glimmpartikeln widerspiegeln. Denn einmal schlecht zugegriffen, rutschte sie uns durch die Finger, fiel auf den Laminatboden und mit einem mittellauten »Knack« brach ein Stück aus ihr heraus. „Oh nein! Aber naja, die Goldene … eh nicht so schön.“ drang es in den Flur der Wohnung.
Da war sie hin, eine von fünf Christbaumkugeln. Was das Schicksal der anderen Vier angeht, so bleibt dies im Dunkeln bis die Schachtel erneut geöffnet wird. Doch auch wenn diese einmal nicht mehr sein werden, so ist uns doch die Möglichkeit gegeben in den nächsten Laden in der Vorweihnachtszeit zu spazieren um als Ersatz einen genauso/besser/schlimmer aussehenden Baumschmuck zu erwerben. Wie wärs denn mal mit einer sauren Gurke am Baum?

Weihnachtsgurke (Foto: Richard Huber)

Nochmal zurück zum „etwas anderen Weihnachten“. Hier konnte die goldene Kugel noch ein letztes Mal ihrer Funktion nachkommen und das in einer Art und Weise wie sie wahrscheinlich noch nie eine Christbaumkugel zuvor erlebt hat. Weihnachten 2010 durfte sie, entgegen der Tradition, aber passend zu ihrem für heutige Verhältnisse geschmacklosen Aussehen, an unserem 1,50 m hohen Kaktus hängen.

Die Christbaumkugel ist tot. Lang lebe die Christbaumkugel!

Die Christbaumkugel. Keine Erfindung aus den USA. Unglaublich. Wie, wann, wo. Hier kommts.

Man mag es kaum glauben, aber Weihnachtsbäume waren schon immer mit Massenprodukten bestückt. Na gut, vielleicht nicht von Anfang an, aber seit die industrielle Produktion Einzug gehalten hat, unterscheiden sich Christbaumkugeln nur noch voneinander durch ihre Farbe. Okay, auch das ist ein wenig übertrieben, aber seien wir doch mal ehrlich, sobald es Oktober wird und die Geschäfte ihre Weihnachtsdekorationen für Zuhause in die Regale stellen, strahlt uns ein Einheitsbrei in tausend Facetten entgegen.

Doch wie kam es eigentlich zu diesem Boom am Baum? Einer Legende zufolge entstand die erste Christbaumkugel aus Glas im Jahre 1847 von einem Lauschaer Glasbläser dem dieses Material billiger erschien als das teure Obst, welches sonst den Festbaum verzierte. Nachweislich dokumentiert ist jedoch erst ein Jahr später die Bestellung von sechs Dutzend Weihnachtskugeln in einem Auftragsbuch eines Glasbläsers.
Die Nachfrage ist also da und hier kommt die Massenfertigung ins Spiel. 1867 wurde im thüringischen Lauscha eine Gasanstalt erbaut in der nun schnell und einfach dünnwändiger Baumschmuck hergestellt werden konnte. Ab 1870 wurde die gesundheitsgefährdende Zinn-Blei-Legierung durch Silbernitrat ersetzt, welche bis heute den Spiegelglanz der Kugeloberfläche ermöglicht.

Zehn Jahre später kommt nun doch die USA in der Christbaumkugel-Chronik vor. Frank Winfield Woolworth, ja genau, der Typ von der Kaufhaus-Kette, importierte die Christbaumkugel, welche dadurch an Popularität gewann. Zahlreiche internationale Hersteller folgten in den Jahren danach. Die maschinelle Massenproduktion fand jedoch Einzug durch die in der DDR Volkseigenen Betriebe Glaskunst und Glasschmuck. Bis heute ist Lauscha für seine traditionelle Christbaumkugel-Herstellung bekannt.

Und die Moral vom Christbaumschmuck?

Es gibt ihn schon lange und es wird ihn weiterhin geben, denn er gehört nunmal zur Tradition des Weihnachtsfestes. Dem einen ist sie heilig, dem anderen unwichtig. Doch was auch passiert, für 12.99 Euro gibt es immer ein Set im Kaufhausregal.

Quelle
Wikipedia: Christbaumschmuck

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Autor
Ulrike Neufeld

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