Der Spatz

Artefakte moderner Archeologie

Der Spatz
40 x 40 x 20 mm
bemalter Gips
Fundort: Dortmund
gefunden am 23. Februar 2009

In der Wohnung, einer verstorbenen Dame, des Dortmunder Stadtteils
Renninghausen wurde die kleine Spatzenfigur aufgefunden.
Er befand sich mit allerlei anderen kleinen Figuren fein säuberlich aufgereiht auf einem Regal im Wohnzimmer

Die mit 92 Jahren verstorbene Frau Friedel war die Großtante meines Großvaters. Er war es auch, der den Sperling in der Wohnung der alten Dame entdeckte. Dabei handelt es sich um eine kleine, massive Gipsfigur, die mit feinen Pinselstrichen bemalt wurde. Auf die Figur traf ich viele Jahre später im Wohnzimmer meiner Großeltern, mein Großvater hatte sie damals mitgenommen. Der Sperling war ein Andenken der alten Dame an ihren Bruder, welcher auf mysteriöse Weise aus ihrem Leben verschwand.

Ilse Friedel wurde 1918 in Düsseldorf geboren. Sie war eine Tochter aus einfachen Verhältnissen. Ihr Vater war Lehrer und ihre Mutter arbeitete gelegentlich auf dem Land als einfache Erntehelferin. Sie hatte einen zwei Jahre jüngeren Bruder, Benjamin Friedel, der ihr zwar intellektuell nicht ebenbürtig war, jedoch ein Talent für handwerkliche Tätigkeiten aufwies. In ihrer Kindheit waren Bruder und Schwester unzertrennlich. Friedel vernachlässigte die Schule, um mit dem Bruder zusammen sein zu können und die umliegenden Wälder zu erkunden. Um die Schullaufbahn sowie die von ihrer Mutter für Ilse angedachte zukünftige Ausbildung nicht zu gefährden, beschlossen die Eltern, Benjamin schon früh in die Lehre zu geben. So begann er seine Lehre bereits mit 12 Jahren in einer Glasmalereiwerkstatt in München, wo er sich mit vielen, weitaus älteren, Gesellen eine heruntergekommene  Stube teilen musste.
Die Jahre vergingen, doch die Geschwister hielten stets schriftlichen Kontakt. Aus Benjamin wurde ein talentierter Glasmaler, was bedingte, dass er ständig auf Reisen war. Aus den verschiedenen Städten und Ländern sendete er Friedel immer eine Kleinigkeit zu.

Im Frühjahre 1951 wurde Benjamin Friedel nach Ulm bestellt. Er sollte einige Fenster des Ulmer Münsters wieder rekonstruieren. Bei den vernichtenden Fliegerangriffen am 17. Dezember 1944, wodurch nahezu Zwei Drittel der Ulmer Innenstadt vollständig zerstört wurde, blieb das Münster – wie durch ein Wunder – nahezu unversehrt. Jedoch wurden durch die immensen Detonationen viele der aus dem 19. Jahrhundert stammenden Fenster nahezu vollständig zerstört.
Dieser Auftrag war bis zu diesem Zeitpunkt sein umfangsreichster und zugleich anspruchsvollster, so dass er die Abreise mit Spannung erwartete.
Monate nach seiner Abreise hatte Ilse Friedel immer noch nichts von ihrem Bruder gehört, was für ihn ungewöhnlich war. Sie machte sich unterschwellig Sorgen, schob aber seine Treulosigkeit, welche sie von ihm eigentlich nicht kannte, auf die Arbeit. Ilse stellte sich vor, dass dies wohl sein Lebenswerk werden könne und er all seine Kraft in die Gestaltung der Fenster einfließen lasse.

Im Winter 1951 bekam Ilse Friedel ein Päckchen. Sie war voller Vorfreude, da sie annahm, nun endlich das ersehnte Päckchen von ihrem Bruder zu erhalten. Jedoch musste sie beim Öffnen feststellen, dass es, bis auf einen kleinen Sperling aus Gips, leer war. Sie durchsuchte es mehrmals, konnte aber weder einen Brief finden, noch stand ein Absender darauf geschrieben. Trotzdem wusste sie, nur ihr Bruder konnte das Päckchen gesendet haben.
Die Jahre vergingen und sie wartete vergebens auf ein Lebenszeichen von Benjamin. Sie schrieb Briefe an die zuständigen Behörden und durchstöberte unzählige Melderegister. Das einzige Indiz, auf welches sie durch ihre zahlreichen Bemühungen stieß, war, dass ihr Bruder am 01.10.1951, nach der Beendigung seiner Arbeiten, die Stadt verlassen hatte und seitdem nicht mehr gesehen wurde.
Ihr blieb nur der kleine Sperling, der, wie sie später herausfinden sollte, das Wahrzeichen des Ulmer Münsters war und bis zum heutigen Tage ist.

Quellen

ulmer-muenster

ulm stadtgeschichte

Ulmer_Spatz

Ulmer Münster

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Autor
Thomaka, Lena