Spieldose

Artefakte moderner Archäologie

Spieldose
Objektgröße: 50x45x30 mm
Material: Plastik, Metall
Fundort: Hilbersdorf bei Freiberg
gefunden am: 24.12.2010

Walzenspieldose – produziert von der Firma Yunsheng – bespielt mit dem Kinderlied
„Guten Abend, gute Nacht“ – ursprünglich versteckt in einer Blechglocke

Weihnachten 2010 war vorbei und ich kehrte, bepackt mit Unmengen von Süßigkeiten und Geschenken zurück nach Leipzig. Ich hatte das Gefühl, ich müsste mich die nächsten Wochen allein damit beschäftigen, alles irgendwo einzuräumen oder hinzustellen, um es an diesem Platz verstauben zu lassen. Ein besonders grausames Exemplar der Weihnachtsindustrie, eine Blechglocke mit Spieldose darin, schien es meinem Freund jedoch angetan zu haben. Unablässig schallte die Melodie von „Guten Abend, gute Nacht!“ aus der Glocke.  Da ich den Text dieses alten Kinderliedes noch nie ganz gehört hatte, suchte ich im Internet danach, um dem Ohrwurm wenigstens einen Inhalt zu geben.

Guten Abend, gute Nacht.
Mit Rosen bedacht,
Mit Näglein besteckt,
Schlupf unter die Deck.
Morgen früh, wenn Gott will,
Wirst du wieder geweckt.

Guten Abend, gute Nacht.
Von Englein bewacht,
Die zeigen im Traum
Dir Christkindleins Baum.
Schlaf nun selig und süß,
Schau im Traum ’s Paradies

Wie auch einige andere bin ich über die Textstelle „Mit Näglein besteckt“ gestolpert. Dass die Erziehungsmethoden vor 200 Jahren etwas anders gewesen sind, mag ja sein, aber keine Mutter würde ihr Kind ans Bett nageln. Zum Glück merkt sich das Internet alles, sodass ich in einem ZEITartikel fündig geworden bin:

Näglein: unsere heutigen Gewürznelken, die in früheren Zeiten an die Wiege gesteckt wurden, um Krankheiten und Insekten fernzuhalten.

Unter anderem stand dort auch, dass die erste Strophe des Liedes aus einer Sammlung deutscher Volksliedtexte „Des Knaben Wunderhorn“ stammt. Diese wurde von zwei wichtigen Vertretern der Heidelberger Romantik Clemens  Brentano und Achim von  Arnim 1806 veröffentlicht. Die zweite Strophe wurde entweder von Georg Scherer oder Karl Simrock verfasst und die Melodie dazu hat Johannes Brahms 1868 geschrieben.

Ziemlich lustig kommt mir nun die Tatsache vor, dass eine Spieldose, deren Entwicklung in etwa um dieselbe Zeit ihren Anfang nahm, von einer chinesischen Firma in Massen produziert und vertrieben wird. Auf der Oberseite der Plastikhülle prangte nämlich die Aufschrift Yunsheng, welches der Name einer Firma aus China ist, die sich auf die Herstellung von solchen Spieldosen spezialisiert hat. Sagen zumindest die unterschiedlichen Internetpräsenzen die Google ausgespuckt hat.

http://yunsheng.net/about.htm
http://business-listings.com/de/Business/ningbo-yunsheng-music-gift-co-ltd-2135289.html
http://www.yunshengmagnet.com/ecompany.htm

So verkauft sich deutsche Romantik und schweizer Uhrmacherkunst heute. Als 1796 Antoine Favre-Salomon die Technik der Spieluhr entwickelte, musste jede Tonzunge einzeln hergestellt, abgestimmt und auf dem Zungenbalken aufgeschraubt werden. Kaum vorstellbar, dass 1840 diese Spieluhren schon industriell hergestellt und teilweise sogar mit keinen Trommeln und Glocken ausgestattet wurden. Wären die Walzen austauschbar oder mehr als sechs Lieder spielbar gewesen, hätte man diese Walzenspieldosen wohl als die iPods der damaligen Zeit bezeichnen können. Jedoch ist diese Spieldose wie auch ihre Vorgänger nur eine von vielen.

Quellen:
Die ZEIT
Volksliederarchiv
Wikipedia Spieldosen
Wikipedia Heidelberger Romantik

Fotos:
Jenny Klein
Abbildung des Knaben Wunderhorn

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Autorin:
Jenny Klein