SEKTION IV: AUSWAHLSTRATEGIEN

Kunstgeschichte zwischen Exemplarik und Systematik

Leitung:
Dr. Rudolf Preuss (Universität zu Köln)
Dr. Lars Zumbansen (Gymnasium Harsewinkel)

Durch die Köpfe vieler Kunstlehrer/innen spukt die im Studium vermittelte Vorstellung, ein kulturelles Objekt, welches im Kunstunterricht thematisiert wird, auch in seiner gesamten Komplexität bearbeiten zu müssen. Wegen Zeitmangels, aber besonders aufgrund der ungeheuren Fülle, der mit einem Objekt verbundenen historischen, politischen und kulturellen Kontexte ist dieser Anspruch in der Schule kunstpädagogischen nicht vertretbar.

Was ist unsere Aufgabe? Unsere Aufgabe ist, den Kindern und Jugendlichen Mittel zur Dekodierung der globalen Kultur in die Hand zu geben, sodass sie selbst auf Entdeckungsreise gehen können. Um das leisten zu können, müssen wir exemplarisch arbeiten. Grundlegend hierfür ist die Vermittlung der Fähigkeit, Fragen an ein kulturelles Objekt zu stellen und Probleme zu benennen. In den Mittelpunkt für den Umgang mit kulturellen Objekten stellen wir deshalb die Problemorientierung. Gemeint sind damit Fragestellungen, die sich aus der Sache, aus dem Lebensumfeld der Kinder und aus der Gestaltungspraxis ergeben.

Vor diesem Hintergrund erweist sich auch der Begriff der didaktischen Reduktion aus unserer Sicht als irreführend: Denn nicht das Abspecken kunsthistorischer Erkenntnisse ist das Ziel, sondern das Entwickeln von kunstpädagogischen Fragestellungen an ein kulturelles Objekt. Erschwert wird ein solches Unterfangen jedoch durch eine in weiten Teilen auf vordergründige Systematik setzende Schulbuchliteratur, die vor allem um eine enzyklopädische Einordnung ausgewählter Werke der Kunstgeschichte bemüht ist. Für das Beispiel der Laokoon-Skulpturengruppe bedeutet dies etwa, dass diese entweder als Exempel des Hellenismus ausgewiesen wird oder als Exempel für den Vorbild- und Anregungswert eines Kunstwerkes für Nachbilder der Kunst und Karikatur. In einem Reihenkontext eines Oberstufenkurses zur Rezeption antiker Körperbilder und Ausdrucksformen bis hinein in die gegenwärtige Populärkultur ergibt sich für den Laokoon jedoch ggf. ein ganz anderer Untersuchungsfokus. Eine Problemsituation im kulturgeschichtlichen Feld wäre bspw. mit einem turning point der Rezeptionsgeschichte aufgerufen, an welchem der Papst Clemens VII. einen jungen Bildhauer beauftragt, den um 1509 noch fehlenden Arm des Laokoon zu ergänzen. Indem die Schüler nun selbst angehalten werden, zeichnerische Entwürfe für die Armrekonstruktion zu entwickeln, um diese nachfolgend mit den beiden historisch verbürgten Gestaltungsversionen zu vergleichen, werden sie zum einen zu einer kritischen Reflexion des konstruierten Antikenbildes in der Frühen Neuzeit angeleitet. Zum anderen können die Schüler über eine solche Aufgabenstellung grundlegende Einsichten zur Ponderation figürlicher Plastiken überhaupt gewinnen, indem sie im Abgleich der Entwürfe untereinander dafür sensibilisiert werden, wie minimale Gestaltungsentscheidungen den Anmutungscharakter der Gesamtfigur beeinflussen können.

Indem Problemstellungen als Auswahlkriterium für Unterrichtsgegenstände und für die verwendeten Methoden gewählt werden, können Ergebnisse transferiert werden. Die in der Auseinandersetzung mit dem kulturellen Objekt exemplarisch gewonnenen Differenzerfahrungen sind die Grundlage für die Entwicklung weiterer Interessen und Fragestellungen. Insofern ist es möglich aus dem exemplarischen Arbeiten sich an eine Systematik heranzutasten. Wenn bisher von Methoden im Kunstunterricht der Rede, so bezog sich das fast immer auf rein kunst- bzw. bildwissenschaftliche Methoden. Darin sehen wir eine Verkürzung unserer Arbeitsweise. Wir werden uns deshalb in der Sektion mit kunstpädagogischen Methoden zum Umgang mit kulturellen Objekten beschäftigen, die exemplarisches Arbeiten ermöglichen.

Kontakt:
Rudolf Preuss
Lars Zumbansen