Stopfpilz

Artefakte moderner Archäologie

Stopfpilz

65 x 65 x 25 mm
Material: Holz
Fundort: Schulze-Delitzsch-Straße 27, Leipzig Neustadt
Gefunden am 17. April 2012

Der Stopfpilz – ein Gegenstand, der heutzutage kaum noch Verwendung findet und langsam in Vergessenheit gerät.

Leipzig Neustadt – Ich gehe die Eisenbahnstraße entlang und nehme die vielen Eindrücke auf, sehe zahlreichen An-und-Verkauf-Läden mit ihren überladenen, kitschigen Schaufenstern. Eine Schulklasse durchquert den Park Rabet auf dem Weg zu irgendeinem Ausflug und ich sehe zwei ältere Männer auf der Bank sitzen. Sie beobachten die vorbeigehenden Leute eindringlich und schweigen; wahrscheinlich schon seit Stunden.

Als ich in die Schulze-Delitzsch-Straße einbiege, fällt mir ein verlassenes Haus auf und ich habe Glück, denn über den Hinterhof kann ich mir durch eine ramponierte Tür Eintritt verschaffen. Drinnen ist fast Nichts mehr, nur Staub und Müll, die Fenster sind vernagelt, es ist dunkel und ein einziger alter Schreibtisch ist zurückgeblieben. Zimmer für Zimmer suche ich ab, bis mein Blick auf den Gegenstand in einem Fensterbrett fällt: Er ist rund, aus dunklem Holz gefertigt und sehr abgenutzt. Auch fehlt der Stiel an der Unterseite,  aber ich erkenne sofort, dass es sich dabei um einen Stopfpilz handelt.

Ich frage mich, warum gerade dieser Gegenstand hier zurückgeblieben ist und wem er wohl einmal gehört hat. Bis vor einigen Jahrzehnten gehörte er noch zur Grundausstattung jedes Nähkästchens und kam zum Einsatz, um Löcher immer wieder reparieren zu können. Vielleicht gehörte er einem Schneider, was seine starke Abnutzung erklären würde, vielleicht aber auch einer Mutter, die damit dutzende Socken, Hosen und Pullover für ihre Familie gestopft hat.

Auch ich besitze ein solches Exemplar, doch kenne ich sehr wenige Leute, die sich die Mühe machen, Kleidung selbst zu reparieren oder zu einem Schneider zu gehen. Oft scheint es praktischer, Neues zu kaufen anstatt Geld und Zeit für eine Reparatur zu investieren. Die Kleidung ist oft sowieso nur für eine Saison konzipiert, sehr günstig zu haben und dadurch zunehmend Etwas, dass die meisten Leute im Überfluss besitzen. Doch was ist mit den Einzelstücken, den Lieblingsstücken, die heißgeliebt so oft repariert werden, bis sie sich fast schon auflösen? Auch Schneidereien verschwinden zunehmend aus dem Stadtbild oder besitzen oft nur noch ein Nischendasein. Man kann jedoch auch beobachten, wie es langsam wieder einen Trend zum selbstgefertigten Einzelstück gibt – und damit weg vom Massen-Einheitslook. Besonders unter jungen Leuten werden viele scheinbar etwas eingestaubten Techniken wie Stricken, Nähen, Häkeln oder Sticken wieder aufgenommen und erfahren oft eine ganze neue Umsetzung und Anwendung. Denn natürlich wäre es schade, wenn ein Handwerk, das sich über eine so lange Zeit so vielfältig entwickelt hat in Vergessenheit gerät und ausstirbt.

Autorin
Luise Grigoleit

Fotos
Luise Grigoleit