Namensschilder

Neustädter Fundstücke

Namensschilder

46 × 200 × 1 mm
Papier, ca. 200 g/m²
Fundort: Leipzig, Neustädter Strasse 30
gefunden am 17. Mai 2012

Namensschilder werden in Wohnhäusern angebracht, um zu kennzeichnen, wer auf welcher Etage, in welcher Wohnung wohnt. Dafür gibt es Tafeln, an denen diese Schilder angebracht bzw. ausgewechselt werden können.
Hegner, Praefke, Kuczpiol, Strohschneider, Schreiber, Müller, Meier, Schulze. Aufeinander folgende Buchstaben sind Worte, Wort-gewordene Identität sind Namen.
Und Namensschilder, mit dunkelblauem Filzstift geschrieben auf dickem Papier – gestrichen, ca. 200 g/m² – sind ihre Register. Sie werden fein säuberlich an einer Holztafel aufgereiht. Eingeklemmt zwischen zu diesem, einzigen Zweck gefertigten Holzstreben. Schilder mit Namen die Wörter sein könnten. Stattdessen gaukeln die Wörter Identität vor. Man betritt das Haus, sieht eine Holztafel, und erlangt den totalen Überblick. Über all die Schreibers, Strohschneiders, die Praefkes und Kuczpiols. Kuczipols, die ja wohl nicht immer schon aus Deutschland kommen, sondern irgendwie in die Registerleiste reingerutscht sind, meinen Hegners.
Es gibt viele Häuser mit solchen Namensschildern, die ihren Platz haben. Übereinander gestapelt wie die Wohnungen und die Namensgeber selbst. Immer drei nebeneinander und dann erste, zweite, dritte und vierte Etage. Eigentlich wirklich einfach – so kann man, sagen Schreibers, den Menschen, die man nicht mag, aus dem Weg gehen. Den sauberen Müllers oder den unaussprechlichen Kuczipols.
Und dann komme ich, der in ein Haus in der Leipziger Neustadt geht, in dem niemand mehr wohnt. Zumindest niemand, der sich länger als eine Nacht hier aufhalten würde, niemand der neue Register zwischen die Holzstreben klemmen würde. Denn dort hängen immer noch diese alten Namen. Geklemmt an die Holztafel zeugen sie von der früheren Existenz Neustädter Identitäten und gaukeln immer noch etwas vor. Umsonst. Denn inzwischen sind sie nichts weiter als Filzstiftspuren auf ausgegilbten, dicken Papierstreifen, sind sie wieder das, was sie immer schon waren.
Ich entferne sie von ihrem ursprünglichen Platz, nehme sie mit nach Hause, stelle sie aus. Es ist doch egal.

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Autor
Franz Thöricht

Hompage Fundstücke Leipziger Neustadt