Postkarte 1943

Vera_Engel

Völkerschlacht 1813 / 1913 / 2013

Postkarte 1943

Größe: 90 × 130
Material: Papier
Fundort: Leipzig, Ritterstraße 8
Funddatum: 24. April 2013

Eine Postkarte, verschickt vor siebzig Jahren im Jahre 1943. Welche Bedeutung hatte das Motiv und was hat es mich dem Adressat auf sich? Hinter dieser Karte steckte erstaunlicherweise eine ziemlich interessante, wahre und beeindruckende Geschichte.

Als Fotografie-Interessierte entdeckte ich diese Karte in einem Leipziger Antiquariat, weil mir vor allem das Motiv auffiel: Eine schwarz-weiß Fotografie des Völkerschlachtdenkmals, welches kompositorisch interessant in Szene gesetzt ist: Bewölkter Himmel und dementsprechend optimale Lichtverhältnisse, das Denkmal wurde außerdem nicht direkt frontal fotografiert, sondern der Fotograf suchte sich einen etwas weiter rechts liegenden Standpunkt. Die Postkarte ist kein Druck wie heutzutage, sondern noch eine direkte Fotobelichtung aus dem Labor.

Man versetzte sich einmal in diese Zeit genauer hinein: Oktober 1943, das Jahr der entscheidenden Wende des zweiten Weltkrieges. Im Bezug auf die Rezeptionsgeschichte des Völkerschlachtdenkmals im Nationalsozialismus hat sich das Verhältnis der Gesellschaft zu diesem Denkmal durchaus gewandelt.
In der Vorkriegszeit war es vor allem Symbol und Instrument der Erziehung zum Nationalsozialismus, so wurde es gegen Ende der 1930er Jahre zum Sinnbild »kämpferischer Kultur« deklariert.Bild_02_Vera_Engel Mit dem Ausbruch des Krieges wandelte sich es zum Symbol deutscher Wehrhaftigkeit und Siegeszuversicht überhaupt. Die schließlich abzeichnende militärische Niederlage wirkte selbstverständlich auch auf die Botschaft aus, die das Nationaldenkmal nun übermitteln sollte. Es sollte nun Zeichen des erbitterten Widerstandes, aber auch Symbol der Zuversicht sein, in auswegloser Situation das Unmögliche möglich zu machen. Zwei Monate später, nachdem diese Karte verschickt wurde, am 4. Dezember 1943 durchlitt die »Reichsmessestadt« Leipzig den ersten großen Bombenangriff des Krieges, bei dem 1717 Menschen ihr Leben verloren und es zeigte sich ein neuer Sinngehalt des Bauwerkes: Aus dem »Denkmal der Wiedergeburt der deutschen Nation« wurde ein Totenmal, eine Grabstätte des deutschen Volkes. (Poser in Keller/Schmidt, 1995, S.92)
Postkarte_Rückseite_Vera_Engel
Wie man auf der Karte unschwer erkennen kann, hatten also mehrere Personen im Oktober 1943 vermutlich einen Ausflug nach Leipzig unternommen und grüßten mit dieser (symbolträchtigen) Karte eine Familie Beyerlein in Warschau.
Genauer gesagt sollte diese Karte (und das hat sie vermutlich auch) einen Hermann Beyerlein und seine Frau Agnes erreichen. Die beiden hatten ein Jahr zuvor geheiratet und lebten in einer Dienstwohnung eines Seitentraktes des Fernsprechamtes in Warschau.
Hermann Beyerlein, geboren am 5.April 1910 in Berlin, studierter Ingenieur, ließ sich auf eigenen Wunsch im Dezember 1939 zur »Deutschen Post Osten« in Warschau abordnen.
1941 wurde er schließlich Leiter des Fernmeldeamtes, einem zentral gelegenen, modernen Gebäudekomplex in der Nowogradzka-Straße 45 (Neue Burgstraße).
Das Fernmeldeamt in Warschau war in dieser Zeit eine wichtige Schaltfläche für die deutsche Besatzungsmacht im Generalgouvernement. Dort waren während des Krieges bis zu 1200 Personen beschäftigt. Hermann Beyerlein war somit früh ein wichtiger Funktionsträger dieses Verwaltungsapparat und hatte eine verantwortungsvolle Position.
Meine Vermutung ist, dass die Karte von ehemaligen Kollegen aus Berlin stammt, dort hatte Beyerlein nämlich von 1937 bis September 1939 als Referendar und später Assessor bei der »Deutschen Reichspost Berlin« gearbeitet. Diese Vermutung bestätigt sich durch folgende Aussage:
»Von einem ausgesprochenen freundschaftlich-familiären Umgang miteinander zeugen ferner zahlreiche Urlaubskarten, welche Beyerlein damals von ehemaligen oder aktiven MitarbeiterInnen seines Amtes vor allem aus der ›Heimat‹ zugeschicht wurden. Eine Sammlung von ca. 130 solcher Grußkarten enthält deutliche Hinweise auf eine große Anhänglichkeit an den ›Sehr geehrten Herrn Postrat Beyerlein‹.« (vgl. Jaworski / Peters, 2013, S.34)
– Mein Fundstück ist also eine von vielen dieser Grußkarten.
Anzumerken ist, dass Beyerlein als deutscher Zivilbeamter in Warschau mit seiner Frau, seinen Freunden und Kollegen in einer Art Apartheid-Gesellschaft, in einer isularen Parallelwelt lebten, während die Situation für die nichtdeutsche Bevölkerung Warschaus durch Diskriminierung, Verfolgung, Lebensmittelmangel und Wohnungsknappheit gekennzeichnet war.
»In Beyerleins Nachlass fanden sich ca. 300 überwiegend kleinformatige Kontaktabzüge samt eigener Negative aus dieser Zeit, die nachträglich durch Einkleben in Alben bzw. Einsortieren in beschriftete Briefumschläge unter Sammelbezeichnungen wie ›Fernamt Warschau‹ oder ›um das Fernsprechamt in Warschau während des Aufstands von August/September 1944‹ in eine gewisse Ordnung gebracht worden waren. Dieser Fundus öffnet dem Historiker ein seltenes, in seiner Aussagekraft kaum zu überschätzendes Fenster auf die höchstpersönlichen Wahrnehmungsweisen und Befindlichkeiten eines jungen deutschen Zivilbeamten, der mitten im Krieg unter den Bedingungen eines extrem repressiven Besatzungsregimes seinen Dienst verrichten und seine Sicht der Dinge mit dem Fotoapparat festgehalten hat.« (vgl. Jaworski / Peters)

Literatur- und Quellenverzeichnis
Keller/Schmid, Hans-Dieter: Vom Kult zur Kulisse. Das Völkerschlachtdenkmal als Gegenstand der Geschichtskultur
Jaworski/Peters, Florian: Alltagsperspektiven im besetzten Warschau. Fotografien eines deutschen Postbeamten (1939-1944)

Ansichtskarte
Postkarte

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Autor
Vera Engel

Völkerschlacht 1813 / 1913 / 2013