Kartätschenkugel

Kugel

Völkerschlacht 1813 / 1913 / 2013

Kartätschenkugel

d = 40 mm
Lehm, Blei
Fundort: Wachau (Markkleeberg), Acker
Funddatum: 25. August 2012

Pulverdampf, Biwakbrände und Verwüstung prägten Leipzig im Oktober 1813. Wachau, an der Südfront gelegen, musste unter dem Kampfgeschehen besonders leiden. Die Kartätschenkugel ist ein stummer Zeitzeuge dieser verlustreichen Schlacht.

Auf einmal ein Wolkenbruch: Schnell stellten wir uns unter einen großen Baum, der am Feldweg stand. Wir unterbrachen unsere Radtour zum Markleeberger See, um den Regen abklingen zu lassen. Links und rechts von uns große gepflügte Felder. Ich starrte gedankenverloren auf den Ackerboden zu meinen Füßen, auf dem sich kleine Pfützen bildeten. Mein Blick blieb plötzlich an einer kleinen Kugel hängen, die dort wie selbstverständlich neben Erdbrocken und Feldsteinen lag. Was kann das sein? Ohne zu zögern, kniete ich mich in die warme, nasse Erde, um meinen Fund zu bergen. Relativ schwer war das Kügelchen und hart.

Wenig später gesellte sich ein Mann zu uns unter den Baum, der sich als der Besitzer des Feldes vorstellte. Als ich ihm das merkwürdige Kügelchen zeigte, wusste er sofort Bescheid: „Könn’ Sie behalten! Hab ich im Keller zwei ganze Milchkannen voll mit den Dingern. Mehrere Größen“. „Was ist das denn überhaupt?“, fragte ich, noch immer unwissend daher schauend. „Wissen Sie nicht, Fräulein? Kartätschenkugeln sind das. Noch vom Napoleon. Die ham‘ die Soldaten damals mit dem Pulver in ihre Kanonen gesteckt. Und dann ham‘ se sich gegenseitig erschossen damit. Hab auch schon Gürtelschnallen und richtig große Kanonenkugeln gefunden“. Der Mann nahm seine Zigarette in den Mund und formte mit seinen Händen eine große Kugel. „Da kriegste och bisll Geld dafür. Aber für die kleen Murmeln hier gibt’s nix. Zuhauf liegen die hier rum, genauso wie Musketenkugeln, die sind dann aber noch kleener. War doch alles Schlachtfeld hier – Markkleeberg und Wachau, die Ecken. Sobald ich dann hier pflüge, komm‘ die ganzen Kugeln wieder hoch. Wenn man die dann alle sieht, kann man sich erstma‘ vorstellen, wie erbittert die gekämpft ham‘ müssen vor 200 Jahren – hier auf meinem Acker. Könn’ Sie gerne haben, das Ding“.

Als der Regen aufhörte, setzen wir unsere Radtour fort. Die Kugel nahm ich mit.
Am See angekommen ließ ich mich fallen und betrachtete nochmals das Kügelchen, dessen Geschichte mich nicht losließ. „Würde ich mir nicht ins Regal stellen, die hat vielleicht schon mal jemanden umgebracht. Da ist noch Blut dran“, spaßte meine Freundin. „Sehr witzig“, meinte ich nur. Doch ich musste mir tatsächlich eingestehen, dass der Gedanke nicht einmal allzu absurd war. Entsetzt ließ ich die Kugel schnell neben mich ins Gras gleiten.

Kartätschen waren eine besondere Art der Munition: Stein-oder Metallkugeln wurden in Behälter aus Eisen-oder Zinkblech abgepackt. Als diese Ladung dann aus der Kanone verschossen wurde, zersetzte sich die Büchse und die Kugelgeschosse breiteten sich in der Luft zu einer tödlichen kegelförmigen Formation aus, die auf einer großen Fläche Zerstörung verursachte.

Mein Fundstück lag noch immer still neben mir und blickte mich unschuldig an. Ich werde wohl nie herausfinden, was dieser kleine, stumme Zeitzeuge in der Schlacht von 1813 ausrichtete, aber dank ihm habe ich so einiges über die Geschichte der Wachauer Felder gelernt.

Literatur-und Quellenverzeichnis
Kartätschenkugel
Wachau

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Autorin
Susan Schaale

Völkerschlacht 1813 / 1913 / 2013