Tintenfass

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Völkerschlacht 1813 / 1913 / 2013

Tintenfaß

Größe 50 × 50 × 40 mm
Material: Glas
Fundort: Leipzig, Schleußig
Funddatum: 18.03.2013

Ein Tintenfaß aus Glas, welches beim Umzug in einem vergessenen Karton gefunden wurde, bildet hier die visuelle Brücke zu den Tagebucheintragungen      „Tage der Gefahr, Ein Tagebuch der Leipziger Schlacht“ des Friedrich Rochlitz,         aus dem Jahre 1813.

Nach einem Jahr war es dann wohl mal wieder an der Zeit. Ich packte erneut Umzugskisten in meinem Zimmer. Dies sollte nun der dritte Umzug innerhalb der letzten zwei Jahre werden. Was sich alles so ansammelt, aber es hat ja auch was für sich von Zeit zu Zeit auszusortieren und überflüssige Dinge loszuwerden, sagte eine motivierende Stimme in meinem Kopf. In der hinteren Ecke meiner Kommode entdeckte ich einen kleinen Karton. Der abgerissene Adressaufkleber veranlasste eine kettenartige Abfolge meiner Gedanken. Nach einigen Detektivartigen Überlegungen fiel mir ein woher der Karton stammen könnte. Ich hatte ihn vor gut 5 Jahren, nach einem Besuch bei meinen Großeltern, als kleines »Schatzkästchen« angelegt. Sein Inhalt offenbarte unter anderem einige Briefe, alte Jugendfotos, beschriebene Hefte und dieses lederne Täschchen, welches mein Großvater für seine Füllfederhalter benutzte. Dieses Stiftetui war vermutlich nicht annähernd so alt wie das kleine Tintenfaß welches ich im unteren Drittel des Kartons hervorkramte. Ich vergaß meinen Zeitplan bis Mittag alle Kisten fertig gepackt zu haben und setze mich auf den Boden. Auch wenn mein mathematisches Verständnis das Tintenfaß datierend einzuordnen mich wieder einmal im Stich ließ, versuchte ich vor meinem geistigen Auge ein Bild meines Großvaters zu erzeugen, wie er als kleiner Junge an seinem Schultisch saß und seine ersten Schreibübungen vollführte.

Drei Wochen später betrat ich eines der vielen Buchantiquariate in Leipzig. Meine Aufmerksamkeit blieb wie so oft, an ein paar Inselbüchern hängen, welche einfach die schönsten Bucheinbände hatten. Ein wenig lustlos, die Zeit von einer Vorlesung zur nächsten überbrückend, zog ich willkürlich eines der Bücher hervor. „Tage der Gefahr, Ein Tagebuch der Leipziger Schlacht“ von Friedrich Rochlitz. Ich hatte es mir, nach einigen Umzügen zum »Hobby« gemacht, mir sämtliche Straßennamen in meiner neuen Umgebung unfreiwillig einzuprägen und sie in den unmöglichsten Situationen als geistige Erkenntnis aufblitzen zu sehen. So auch in diesem Fall. Rochlitz, das war dann wohl der Namensgeber für die nächste Querstraße innerhalb meines neuen Kiezes. »Was schrieb er denn in sein Tagebuch? « fragte ich mich und fing an zu lesen. Nach anfänglichem, unkonzentrierten Überfliegen des Textes, fing ich nach längerem Lesen an zu begreifen, welch interessantes Stück ich in meinen Händen hielt. Nun wohnte ich mit schon seit fünf Jahren in Leipzig und ein sehr wichtiges Detail dieser Stadt war bisher nie in den engeren Fokus meiner Aufmerksamkeit gerückt. Die Völkerschlacht 1813

Auszug aus dem Text von F.Rochlitz (S. 28):

In der Nacht haben die französischen Heere in jener Gegend schrecklich gehaust. Entsetzliches Wetter, rauhe Stürme, unaufhörlicher Regen usw. zwangen sie wohl zu vielem. Von Wolkwitz ging ein Teil in Feuer auf. […]Von meiner zweiten Heimat im lieben, schönen Connewitz hab ich noch keine sichere Kunde. Boten hinaus sind für kein Geld zu haben, Boten herein gibt’s nicht mehr, weil es überhaupt draußen fast niemand mehr gibt, außer Soldaten. Alles ist in den Wald oder in die Stadt geflüchtet, ich selbst kann mich nichts aussetzen, da ich nichts damit erreiche, was solch eines Wagstücks wert wäre.

Ich las in Gedanken versunken weiter und blätterte, als sich meine freie Zeit dem Ende neigte, nochmal an das Ende des Buches, wo sich ein Nachwort des Verlages zum Autor befand.

Auszug aus dem Buch (S.88 ff.):

Der Hofrat Friedrich Rochlitz, dessen Persönlichkeit wir aus dem »Tagebuch« kennenlernen, war damals 44 Jahre alt, ein hochgeachteter, bekannter Mann, gewohnt, mit der Feder umzugehen. […] Im Jahr 1794 erschien sein erstes Buch »Zeichnungen von Menschen nach Geschichte und Erfahrung«, ihm folgten geschichtliche und pädagogische Schriften wie auch dramatische Werke. […]Die Freundschaft zu Goethe und der Briefwechsel mit ihm, der 1800 einsetzte, hielten bis zu dessen Tode an. […] Das »Tagebuch der Leipziger Schlacht« erweist ihn als einen Mann, der unterlebendbedrohlichen Umständen Fassung bewahrte, dessen menschliche Anteilnahme an den Geschehnissen, dessen Bemühungen um Objektivität und Gerechtigkeit seine Lauterkeit erkennen lassen.

Ich stellte mir den, unter großer Anspannung an seinem Schreibtisch sitzenden Friedrich Rochlitz vor, wie er seine Feder ins Tintenfaß gleiten ließ und die Geschehnisse in seiner, und wohlgemerkt nun auch meiner Heimatstadt Leipzig, zu Papier brachte. Am Abend fiel mein Blick, beim hereintreten in mein neues Zimmer, auf das Tintenfaß welches ich auf meinem Schreibtisch gestellt hatte. Ich wünschte mir einen Gänsekiel und etwas Tinte um es wieder aufleben zu lassen. In diesem Moment beschloss ich, am gleichen Wochenende mit meinem Besuch, endlich einmal zum Völkerschlachtdenkmal zu fahren und eine große Wissenslücke zur Leipziger Geschichte zu schließen

Literatur- und Quellenverzeichnis:

F.Rochlitz, (1912): Tage der Gefahr. Ein Tagebuch der Leipziger Schlacht, Leipzig: Insel-Verlag Anton Kippenberg 1988

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Autor: Anne Sea

Völkerschlacht 1813 / 1913 / 2013