Potpfeife

Artefakte moderner Archäologie
Potpfeife
83 x 30 x 16 mm
Metall
Fundort: Long Hai, Vietnam
gefunden am 14. März 2010

Die Potpfeife wurde auf der Durchreise in Long Hai, unweit eines ehemaligen US-Militärstützpunkt bei Saigon in Südvietnam gefunden. Einfach, verrostet und unspektakulär. Schweißnähte, Dellen, Risse. Kein besonderes Handwerk. Aber sie überlebte.

Eine erdrückende Schwüle zieht sich durch die Stadt und deren Straßen, Menschenmassen, die hektisch umherwuseln, drängen sich an uns vorbei.
Der Duft von unzähligen Gewürzen und Früchten zieht durch die Markthallen und schon am frühen Morgen köcheln sämtliche Gerichte in den Kesseln der kleinen Restaurants am Straßenrand. Das ganze Leben spielt sich auf der Straße ab. An einer Ecke wird an Fahrrädern herumgeschraubt, in der anderen Ecke spielen Kinder. Hausfrauen gehen schwer beladen zum Fluss um Reis und Gemüse zu waschen.
Es ist die Gelassenheit der Mopedfahrer, die gigantische Frachten durch die Stadt transportieren, das lebhafte Feilschen auf den Märkten und die kontrovers dazu stehende Stille und Kühle der uralten Tempel, die uns auf eine fremde und faszinierende Reise schicken.
Vietnam ist kein Kriegsland mehr. Nichts erinnert an die grausamen und brutalen Ereignisse. Die Menschen begegnen den ehemaligen Feinden aus den USA, Frankreich und China mit einem Lächeln. Es gibt neue Straßen, Brücken, Hotels. Überall bemüht man sich den Gästen das Beste zu geben. Es gelingt.
Wir sind jetzt schon die zweite Woche in Vietnam unterwegs und immer noch ist alles neu und anders. Doch wir wollen mehr, alles aufsaugen was nur geht, nichts verpassen, was man mitnehmen könnte. Wir ziehen weiter, vorbei an den tausenden von Lebensmittel- und Souvenirständen, ignorieren die Zurufe der Verkäufer und verlassen schnellstmöglich den Markt in Richtung Strand.
Wir sind nicht weit gekommen, als wir uns entscheiden eine Pause einzulegen. Schließlich sollte man sich im Urlaub auch nicht zu viel Stress machen.
„Aua, blödes Scheißding!“ schreit es plötzlich aus dem Busch. Er kommt zurück und hält mir diese Pfeife unter die Nase. „Die lag da irgendwo im Gras. Ich bin draufgetreten.“ Er hat eine kleine, alte, verrostete Pfeife in der Hand. Kein besonderes Handwerk, man sieht die Schweißnähte, leichte Dellen und Risse.
Ich werfe nur einen kurzen Blick darauf und drehe meine Zigarette weiter. Nur ein Stück Schrott. Aber ihn lässt die Pfeife nicht los. Er bestaunt sie kritisch und sagt dann: „Die ist bestimmt aus‘m Krieg! Hier in der Nähe ist doch ein ehemaliger US-Stützpunkt und die Amis haben mit solchen Pfeifen ihr Pot geraucht.“
Ich betrachte stillschweigend die Pfeife. Sie war sicherlich lange Zeit der Witterung ausgesetzt. Extreme Sonne, tropische Schauer. Von den Gebrauchsspuren ganz zu Schweigen. Wer war wohl ihr Besitzer? Lebt er noch oder ist er vielleicht sogar hier gestorben? Was ist hier passiert vor 40-50 Jahren? Man hat ja schon viele Berichte und Filme gesehen, aber hier vor Ort des Geschehens male ich mir sämtliche Szenarien aus: Saß er da versteckt im Busch, zitternd vor Angst, sich betäuben und vergessen? Je mehr ich meine Gedanken schweifen lasse, desto mehr kann ich verstehen, warum die Soldaten sich mit sämtlichen Rauschmitteln vollpumpten. War das die einzige Möglichkeit über all den Schmerz, das Leid und die furchtbaren Schuldgefühle, ganze Dörfer vernichtet zu haben, hinwegzukommen? Um all diese Gedanken zu betäuben? Die Sehnsucht nach Ruhe zu befriedigen?
Marihuana, Opium, LSD, Speed, Heroin – keine Seltenheit im Vietnamkrieg. Leicht zu erwerben, in reinster Form erhältlich und spottbillig. Der Markt hatte alles zu bieten. Für einen Kick Frieden in der Hölle? Für ein bisschen Glück im Unglück?
Ich drehe das kleine Stück Metall nachdenklich in den Händen, meine Zigarette habe ich vollkommen vergessen. Die Hitze wird immer unerträglicher. Wir entscheiden uns weiterzugehen und ich stecke die Pfeife in meine Tasche. Ein Souvenir?

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Autor
Julia Steininger