Nietengürtel

Artefakte moderner Archäologie

Nietengürtel (Fragment)

37 x 46 x 6 mm
Kunstleder; Aluminium
Fundort: Leipzig
gefunden am 17. Mai 2005

Der Nietengürtel wurde auf dem „Agra“-Gelände bei Leipzig während der Aufräumarbeiten nach dem „Wave-Gothik-Treffen 2005“ gefunden. Da er kaum abgenutzt und lädiert war, sollte er erst sechs Jahre später seine Funktionsfähigkeit einbüßen.

Das Fragment eines Gürtels

Millionen tragen sie – wenige fragen nach ihrer Geschichte: Nietengürtel.

Das so genannte „Wave-Gothik-Treffen“ ist eines der größten Events der „Schwarzen Szene“ Europas. Einem düsteren Karneval gleich, lockt es jedes Jahr tausende Besucher in die Messestadt Leipzig. Das besondere Aussehen definiert diese Menschen ebenso sehr, wie ihre spezielle Musik. Über die Pfingstfeiertage zelten sie, hören Konzerte, inszenieren und präsentieren sich selbst.
Ich persönlich bin über Pfingsten nie in Leipzig. Sobald die ersten „Grufties“ den Hauptbahnhof verlassen, bin ich weg. Dabei hat meine Abwesenheit nichts mit einer Abneigung gegen diese Subkultur zu tun, tatsächlich würde ich mir das alljährliche Spektakel sogar gern einmal anschauen. Als Tourist in meiner eigenen Heimatstadt sozusagen.
Aber wie die Dinge nun mal liegen, komme ich erst wieder nach Leipzig zurück, wenn auch der letzte Nachzügler seinen Rausch ausgeschlafen und seinen Platz im Zug nach Hause gefunden hat.
Auch ich befand mich am 17. Mai 2005 auf dem Heimweg, als ich das Gelände der „Agra“-Leipzig betrat. Was sich meinen Augen darbot, waren die Überreste eines ausschweifenden Festival-Wochenendes mit allem was dazu gehört: kaputte Glasflaschen, kaputte Zeltgestänge und eben dieser Nietengürtel. Intakt. Nahezu neu. Ich war verblüfft. Und zum Nachdenken angeregt: Wie lange mag sein ehemaliger Besitzer diesen Gürtel besessen haben? Und warum hat er ihn zurückgelassen? Dieser Nietengürtel, der quasi das wenig geachtete Aushängeschild einer Szene darstellt, die sehr viel Wert auf ihr Äußeres legt?
Oder fährt nun ein armer Tropf in der Gewissheit nach Hause, das die letzte Nacht noch viel großartiger hätte in seiner Erinnerung bleiben können, wenn er sich eben nur an ein wenig mehr erinnern könnte? (Ich stellte mir dabei vor, wie er die Hände in die Hosentaschen schiebt, um auf möglichst lässige Art seine Hose am Rutschen zu hindern).
Erstaunlich, was die Leute alles wegwerfen, was nicht ganz kaputt ist.
Diese Gedanken schossen mir durch den Kopf und ich beschloss für mich, sein Andenken in Ehren zu halten. Der Gürtel war immerhin intakt, wies kaum Gebrauchsschäden auf und sollte mir noch für viele Jahre gute Dienste erweisen bevor er endgültig an einer Materialschwäche riss.

Ich trennte das abgerissene Ende von dem Rest und beschloss, es als Erinnerung an ein Fundstück und dessen Geschichte zu behalten.

Download Objektbeschreibung

Autor
Degen, Felix