Porzellanfigürchen

Artefakte moderner Archäologie

Porzellanfigürchen
14 x 33 x 6 mm
glasiertes Porzella
Fundort: Copiapó, Chile
gefunden im September 2007

Das Figürchen wurde bei Copiapó gefunden. Dieser Teil Chiles ist bekannt für seine stillgelegten Salpeterwerke inmitten der trockensten Wüste der Erde. Trotz seiner zarten Gestalt gibt es keine Bruchstellen. Nur kleine verfärbte Erhebungen und raue Flächen lassen es benutzt erscheinen.

Einige Sonnenstrahlen finden gerade wieder einen Weg durch die Wolken und ich steche meine Schaufel kräftig in den Boden. Es ist eine mühsame Arbeit, hier in einem der trockensten Gebiete der Welt: der Atacama Region im Norden Chiles.

Doch als ich die Erde auf den noch immer recht kleinen Haufen neben mir abwerfe, entdecke ich es: dieses kleine, zarte, weiße Figürchen. Vorsichtig streiche ich die staubige Schicht von ihm ab und laufe zu Felipe, der nur unweit von mir in einem der Gemüsebeete zugange ist. Auch er starrt fasziniert auf das Wesen. “Oft kommt es nicht vor, dass man hier etwas findet”, sagt er. “Die Region war und ist noch immer sehr dünn besiedelt. Und als er dieses Stückchen Land kaufte, schien es schon sehr lange Zeit nicht mehr bewirtschaftet.”

Kurz nach dem Fund, Foto: Elena Seubert

Wir setzen uns in den Schatten eines Baumes und Felipe beginnt zu erzählen, von der Geschichte seines Landes, der Región de Atacama und ihren Geisterstädten.

Obwohl hier die höchsten Berge Chiles zu finden sind und die Atacama Wüste die trockenste Wüste der Erde ist, wurde die Region bereits recht früh besiedelt. Bedeutsam für wirtschaftliche, politische sowie soziokulturelle Entwicklungen wurde die Gegend jedoch erst im späten 19. Jahrhundert, als man reiche Salpetervorkommen entdeckte. Dieses war als Düngemittel, aber auch als Bestandteil von Sprengstoff auf der ganzen Welt stark gefragt, weshalb Chile einen nie zuvor gekannten Wohlstand erfuhr. Die Eroberung der Nordprovinzen im Salpeterkrieg gegen Peru und Bolivien vergrößerten Chiles Salpeterindustrie und stärkten die Exportkonjunktur. Ausländische Investoren besaßen die größten Werke, doch auch einigen chilenischen Unternehmern “gelang der Aufstieg in die soziale Oberschicht des Landes” (Rinke 2007, S.59). So zogen zahlreiche Arbeiter und ihre Familien in die nahe am Werk gebauten, inmitten der Wüste gelegenen Städte. Humberstone war eines der wichtigsten Salpeterwerke Chiles und mit 3.500 Einwohnern auch das größte. Anfang der 1930er Jahre wurde der chilenische natürliche Salpeter durch den “von der europäischen chemischen Industrie hergestellte[n] Stickstoff” (Rinke 2007, S.63) vom Markt gedrängt. Dieser Zusammenbruch des Salpetermarktes bedeutete die Schließung der Werke, welche heute nur noch als verlassene und verfallene Geisterstädte an die blühende Wirtschaft vergangener Zeiten erinnern.

Arbeiterwohnungen in Humberstone, Foto: Hermann Luyken

Felipe war schon aufgestanden, als ich zurück in der Gegenwart aufwache. Nochmals betrachtet er die weiße Figur, schüttelt lächelnd den Kopf und geht zurück zu seinen Pflanzen. Gehörte dieses Figürchen vielleicht einmal einem jungen Mädchen einer der Arbeiterfamilien der Salpeterwerke? Spielte sie damit nach der Schule auf dem staubigen Boden, während das dumpfe, mechanische Stöhnen der Minen die Straßen erfüllte? Doch warum fand ich die Figur dann hier?

Die Frage hatte ich noch nicht zu Ende gedacht, als Felipe plötzlich vor mir steht. Er scheint sich über mein grübelndes Gesicht zu freuen: “Gerade fiel mir ein, dass ich vor einiger Zeit einen alten Mann unten im Dorf traf. Wir kamen ins Gespräch und er erzählte mir, dass er damals das Gut seines Vaters übernommen und Jahrzehnte lang Wein angebaut habe, bis er das Stück Land nun vor wenigen Jahren aufgeben musste. “Er ist hier also aufgewachsen?”, frage ich nach. “Nein, er und seine Familie kamen erst Anfang der 1940er Jahre in das Dorf. Sein Vater war Minenarbeiter in einem der Salpeterwerke weiter im Norden. Doch als dieses schließen musste, versuchte er sein Glück mit dem Weinanbau hier im fruchtbaren Tal des Flusses. Und dieses Stück Land hier, berichtete er, wurde von einer Familie bewirtschaftet, der es genauso erging. Nur blieben sie nicht so lange wie er.” Felipe lacht, “Vielleicht bist du eben dem Geheimnis des Figürchens näher gekommen.”

Flusstal der Provinz Copiapó in der Atacama Region Chiles, Foto: Elena Seubert

Quellen

Links:
Rastlos Backpacker Berichte Weltweit: Die Geschichte Chiles.
(zuletzt überprüft: 15.05.2011)
Griem, Wolfgang: Museo Virtual. Minería histórica en Atacama. (zuletzt überprüft: 15.05.2011)
Südwestrundfunk: Schätze der Welt. Humberstone. (zuletzt überprüft: 15.05.2011)

Literatur:
Rinke, Stefan: Kleine Geschichte Chiles. München, 2007.

Download Objektbeschreibung

Autor
Elena Seubert

Fotos
Elena Seubert; Abbildung 3: Wikipedia (2005.11.14 34 Humberstone Chile.jpg)