Perle in einer Holzschachtel

Artefakte moderner Archäologie

Perle in einer Holzschachtel
50 x 42  x 61 mm
Bemaltes Holz
Fundort: Frankfurt Flughafen
Gefunden am 14. Juli 2008

Die  Holzschachtel stammt ursprünglich aus dem Iran. Es handelt sich hierbei um eine traditionell verzierte Schachtel, in der sich eine Perle verbirgt, die erst später hineingelegt wurde. Gefunden wurde sie am Flughafen Frankfurt in einer Reisetasche, die versehentlich die Besitzerin wechselte.

Ich kam gerade aus meinem Urlaub im Iran zurück und wartete nun am Frankfurter Flughafen auf mein Gepäck.  Als ich es sah, ergriff ich es schnell und beeilte mich,  meinen Zug nach Leipzig noch rechtzeitig zu erwischen. Erleichtert im Zug angekommen, entschied ich, mich zurückzulehnen und weiter in meinem Buch zu lesen. Doch als ich meine Tasche  öffnete, musste ich feststellen, dass sich weder mein Buch noch meine anderen Sachen darin befanden. Nach dem kurzen Schock, nicht mehr im Besitz meiner Habseligkeiten zu sein, begann ich, interessiert den mir fremden Inhalt genauer zu erforschen und entdeckte eine Holzschachtel. Ich öffnete sie und fand in ihr eine große Perle. Ich fragte mich, wem die Tasche wohl gehören mochte und vor allem, wer nun meine Tasche mit sich tragen würde. Die Frage klärte sich schnell, wegen des Namenschildes, das an der Tasche angebracht war und auf dem Kara Sharifi stand. Zu Hause angekommen bemühte ich mich, die Adresse der Frau herauszubekommen und rief sie sogleich an.

Selbstverständlich hatte auch sie den unfreiwilligen Tausch bemerkt. Ich gestand ihr, die Tasche mit ihrem Eigentum durchstöbert zu haben, nachdem ich festgestellt hatte, dass es sich nicht um meine handelte. Daraufhin fragte ich sie direkt, was es mit der Perle in der Schachtel auf sich hätte. Nach einer flüchtigen Pause, in der sie kurz zu überlegen schien, erzählte sie mir, dass sie den noch im Iran verbliebenen Teil ihrer Familie anlässlich der Beerdigung ihrer Großmutter besucht hätte. Ihre Eltern waren bereits nach Deutschland ausgesiedelt, bevor sie geboren wurde. Während der Trauerfeier wurde das Hab und Gut der verstorbenen Großmutter unter den Familienmitgliedern aufgeteilt. Kara erhielt unter anderem diese Schachtel, in der sich eine Perle befindet, die laut der Großmutter, die Jungfräulichkeit derselben sei, welche sie mit Hilfe der Schachtel zu konservieren suchte. Diese Symbolik der Perle findet sich in vielen Religionen wieder, so steht sie auch im Christentum als auch im Islam für Reinheit.

Kara lachte und sagte, sie als moderne Frau könne mit diesem Brauch nichts anfangen und ich könne die Schachtel behalten, sofern sie mir gefiele. Für sie sei das Kästchen nur ein Andenken an die herabgesetzte Stellung der Frau in vielen islamischen Gesellschaften. Aber ihre Tasche solle ich ihr natürlich schnellstmöglich zuschicken. Das Gespräch war somit beendet.

In Hinblick auf die Rolle der Frau im Iran und auch in anderen islamischen Staaten haben westliche Kulturen überwiegend das Bild einer mit Schleier verhüllten Frau vor Augen. Zudem ist auch bekannt, dass die Frau in vielen islamischen Ländern dem Mann gesetzlich untergeordnet ist.  Diese Situation stellt noch gegenwärtig ein Problem dar, welches unter anderem darauf zurückzuführen ist, dass die Scharia, das islamische Gesetzbuch, Grundlage für die staatliche Justiz ist. Dies ist eine Jahrhunderte alte Problematik der Staaten, die keine Trennung zwischen der weltlichen und geistlichen Macht ausüben, also nicht vollständig säkularisiert sind. Als Folge der Unterdrückung gibt es seit langem Bestrebungen, um eine demokratische Staatsform, deren Verfassung sich von der Scharia löst, um dieser Ungleichstellung entgegenzutreten.

Die islamische Revolution im Jahr 1978/79 war der erste Lichtblick, um diesem Ziel näher zu kommen. Sie führte zur Absetzung des Schahs Mohammad Reza Pahlawi und zur Beendigung der Monarchie und thematisierte unter anderem auch die  Unterdrückung der Frau, allerdings mit wenig Erfolg. Für die Frau hat sich rechtlich gesehen nicht viel verändert. Sie hat zwar seitdem ein Wahlrecht, dennoch gibt es klare Benachteiligungen im Erbrecht, bei  Scheidungsfällen und die Zeugenaussage einer Frau vor Gericht ist nur halb soviel wert wie die eines Mannes. Ein effizientes Mittel, um dem Streben nach Gleichberechtigung nachzukommen, ist Bildung. Im Iran sind 60 Prozent der Studenten Frauen, was jedoch  keine besseren Arbeitsaussichten für diese bedeutet. Dennoch gibt es Persönlichkeiten, die sich bereits erfolgreich für Gerechtigkeit einsetzen konnten. Shirin Ebadi, die erste weibliche Richterin und Menschenrechtsaktivistin im Iran, erhielt als erste muslimische Frau  im Jahre 2003 einen Friedensnobelpreis für ihre Bemühungen um Demokratie im eigenen Land und die Einhaltung der Menschenrechte. Shirin Ebadi geht als gutes Beispiel voran. Sie und andere Menschenrechtsaktivisten werden noch weiter um die Gleichberechtigung der Frau und um einen gerechten Staat kämpfen.

Ein paar Tage nach dem Telefonat mit Kara erhielt ich mein Gepäck zurück und war nun darüber hinaus stolze Besitzerin einer Jungfrauenperle in einer Holzschachtel.

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Quellen

nobelprize

www.igfm.de

Autor
Mahler, Juliane