Das Reclamheft


Klein, preiswert und schreiend gelb ist das Reclamheft bereits über Schülergenerationen hinweg ein treuer Begleiter. Durch seinen erschwinglichen Preis und sein alltagstaugliches Format macht das Reclam-Taschenbuch große Literatur handlich und nahbar. Kaum einer würde jedoch bestreiten, dass zu Schulzeiten das kleine gelbe Rechteck manches Mal auch ein Warnsymbol war, das verhieß: Achtung, sterbenslangweilige Schulliteratur naht! Und es mag sich die Frage aufdrängen, warum wir eigentlich lesen, was wir lesen. Warum quälen wir unsere Kinder mit Goethes ‚Faust‘ und so vielen anderen Texten, die ihnen so fern erscheinen? Wer entscheidet eigentlich was wir lesen und warum? Wie schafft ein Buch es in die Schule? Und wie in dieses kleine gelbe Heft?

Große Bücher ganz klein – Reclams Universalbibliothek

Die Geschichte des Reclamverlages beginnt im Jahre 1867. Nach einer Reform des Urheberrechtes durften Werke nun bereits 30 Jahre nach dem Tod des Autors von allen nachgedruckt werden. Anton Philip Reclams Geschäftsidee steht somit nichts mehr im Wege: große Literatur zu kleinen Preisen. Er beginnt also mit dem Aufbau seiner Universal-Bibliothek, deren Grundstein der Klassiker schlechthin ist: Johann Wolfgang von Goethes Faust I. Bald folgen Schiller, Shakespeare, Ovid und viele andere. Heute umfasst Reclams Universalbibliothek mehr als 3500 Titel (Stand: 2017), wobei sie nur einen Teil des Verlagssortiments darstellt. Anfang des 20. Jahrhunderts, gab es sogar Automaten, an denen man sich die kleinen Hefte einfach unterwegs kaufen konnte. Seit 2018 gibt es ein Reclam-Museum in Leipzig und schon lange sind viele der Hefte auch als Ebooks verfügbar. Erst 1970 bekommt das Reclamheft sein ikonisches Gewand. Die zuvor elfenbeinfarbenen Hefte werden leuchtend gelb. Doch je nach Inhalt wechseln sie auch gerne ihre Farbe. So sind kommentierte Fremdsprachetexte rot, zweisprachige Ausgaben orange, Lektüreschlüssel blau, Erläuterungen grün und Sachbücher pink.

Bilde dich weiter!

Von „evergreens“ und Außenseitern

Goethes Faust mag nicht nur das erste Reclamheft sein, sondern ist bis heute wohl der Spitzenreiter unter den Schullektüren. Dies ist kein Zufall. Während es mittlerweile keine verpflichtenden Lektürelisten an deutschen Schulen mehr gibt, ist Faust I noch immer in vielen Bundesländern verpflichtender Teil des Lehrplanes. Warum ausgerechnet Faust I? Genau über diese Frage wird stark und endlos debattiert. Doch das ändert nichts daran, dass die Lehrkräfte und Schulen grundsätzlich selbst entscheiden, was gelesen wird (idealerweise auch in Absprache mit den Schülerinnen und Schülern).  Scheinbar steht also allen Büchern der Weg in die Schule offen… Aber ist das wirklich der Fall?

Auswahl von Schulliteratur (PDF anzeigen)

Tatsächlich haben nicht alle Bücher eine faire Chance, in den Kanon aufgenommen zu werden, auch wenn sie es qualitativ vielleicht wert sind. Viele Werke sind im Laufe der Geschichte in Vergessenheit geraten oder aktiv verdrängt worden, zum Beispiel weil ihre Autorinnen und Autoren wegen ihres Geschlechts, ihrer politischen Ansichten oder Herkunft aus der Literaturgeschichtsschreibung gelöscht wurden. Unter der Oberfläche von Bestsellern schlummern also noch viele literarische Schätze, die darauf warten, geborgen und wieder gelesen zu werden. Und das ginge leichter, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Das Sortiment an Reclamheften und anderen preiswerten Schulausgaben ist weiter, als man denkt und umfasst noch viel mehr als die allseits bekannten Schimmelreiter, Wilhelm Tells und Effi Briests. Warum also nicht die Freiheit des Lehrplanes nutzen und ein weniger tiefer in den gelben Blätterwald eintauchen? Vielleicht ist es an der Zeit, dass wir neben den Dauerbrennern Goethe, Fontane und Co. auch Raum für vergessene Meisterwerke finden.

Quellen

  • Martin Leubner, Anja Saupe, Matthias Richter (2010). Literaturdidaktik.
  • Nicole Seifert (2021). Frauen Literatur. Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt.
  • Reclam-Verlag. Online via: URL:<https://www.reclam.de/info_pool/wir_ueber_uns> [Stand: 11.06.22]
  • Wikipedia. Online via: URL: <https://de.wikipedia.org/wiki/Reclams_Universal-Bibliothek> [Stand: 11.06.22]
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