
Was können wir von der Linkshänderschere über Inklusion lernen?
Eine Bastelschere ist wohl für niemanden aus der Federmappe oder der Kindheit wegzudenken. Ob in Kunst, Werken oder auch zu Hause, mit der Schere wird ausgeschnitten, gebastelt oder auch der erste eigene Pony geschnitten.
Dabei gibt es die Schere in allen möglichen Farben und Formen, einfarbig, bunt, klassisch oder modern und eben auch in rechts und links.

Während es die ersten Scheren schon in der Bronzezeit gab, sah es für Linkshänder*innen lange noch düster aus. Die Gelenkschere, die wir heute kennen, war jedoch erst ab dem 10. Jahrhundert gebräuchlich. Wenn du dich für die Geschichte von Scheren interessierst, findest du hier mehr dazu.
Erst 1967 wurden die ersten wirklich funktionierenden Linkshänderscheren hergestellt. Und das, obwohl eine Schere sowohl für den Alltag als auch in vielen Berufsfeldern ein wichtiges Werkzeug war und noch immer ist. Wenn Papier, Haare, Stoff oder anderes geschnitten werden sollte, wurde die Schere zwar an diese Materialien und Verwendungszwecke angepasst, nicht aber an die linke Hand. Bei vorherigen Modellen war nur der Griff der Schere verändert. Vermutlich ist der Grund, dass es bis dahin keine angepassten Scheren gab, ganz einfach:
Noch bis in die 1970er-Jahre wurden Kinder, die linkshändig waren, zu Hause und in Schulen zu Rechtshändern umerzogen, obwohl es bereits für sie passende Scheren gab. Benutzt eine linkshändige Person eine Schere für Rechtshänder, muss mit dem Daumen eine unnatürliche, auf Dauer schmerzhafte Haltung angenommen werden. Aber warum?

Das liegt am Aufbau und an der Funktionsweise von Scheren. Eine typische (Bastel)Schere, wie du sie kennst, besteht aus zwei Schneideblättern, die mit einer Schraube miteinander verbunden sind und zwei Schenkeln mit Augen, also den Griffen für die Finger. In dieser Illustration kannst du dir die Einzelteile noch einmal genau ansehen.

Während das bei Scheren für Links- und für Rechtshänder genau gleich ist, gibt es einen Unterschied bei der Anordnung der oberen Schneideblätter. Damit eine Schere richtig für dich funktioniert und du das Papier nicht zerreißt oder immer knapp an der Linie vorbei schneidest, muss das obere Schneideblatt so angeordnet sein, dass es deine Schnittlinie beim Schneiden nicht verdeckt. Außerdem musst du mit deinem Daumen so gegen den Griff und Schenkel der Schere drücken, dass die beiden Schneideblätter zusammen und nicht auseinandergedrückt werden. Bei einer Linkshänderschere ist deswegen das obere Schneideblatt auch links.

Die Linkshänderschere ist ein glänzendes Beispiel dafür, was passiert, wenn sich nicht die Kinder an die Schule und die Werkzeuge anpassen müssen, sondern wenn sich diese an die Kinder anpassen. Auf der folgenden Infografik findest du weitere Scherentypen für verschiedene Bedürfnisse, die du so vielleicht noch nie gesehen hast.

In anderen Bereichen der Bildung gibt es schon lange diese Anpassung der Rahmenbedingen und Werkzeuge und ist für uns ganz selbstverständlich. Kinder, die eine Brille tragen, dürfen meist weiter vorne sitzen. Die Stühle und Tische in der ersten Klasse sind kleiner als die Hörsaalbänke an der Universität.
Bildung sollte für jeden Menschen zugänglich sein, egal welche individuellen Voraussetzungen und Bedürfnisse er auch mitbringen mag. Inklusion klingt zwar wie ein abstraktes, kompliziertes Konzept und das ist es auch oft, aber es gibt ganz einfache, praktische Ansätze, die wir alle umsetzen können. Deswegen wird es Zeit, in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens umzudenken und das fängt schon mit so kleinen Dingen an, wie der (Linkshänder-)Schere.
Quellen
Carstens, Peer (2012): Die Entwicklung der Schere, peraperis, [online] https://www.peraperis.com/de/info/realia-sachkultur-antike-mittelalter/schere-romer-kelten-mittelalter.html [abgerufen am 16.06.2022].
Fatheyan, Shara (2017): Warum Linkshänder es lange schwer hatten, duda.news, [online] https://www.duda.news/welt/linkshaender-umgewoehnung-warum-lange-schwer/ [abgerufen am 16.06.2022].
