Staatsbürgerkunde


Das Fach Staatsbürgerkunde ist ein Produkt seiner Zeit. Einer Epoche deutscher Geschichte, welche vom kalten Krieg und allen seinen Facetten geprägt war. Deutschland war in zwei sich konträr gegenüberstehenden Systemen geteilt und wurde damit zur Nahtstelle zwischen der kapitalistischen westlichen und der sozialistischen östlichen Welt. Daraus resultierte der stete Drang sich gegenüber der Konkurrenz behaupten. Doch es wurde auch ein Werkzeug benötigt, um die eigene Ideologie vor dem sogenannten Klassenfeind zu verteidigen und der heranwachsenden Jugend näher zu bringen. Dafür wurde das Schulfach Staatsbürgerkunde oder kurz „Stabü“ geschaffen. Ab dem Jahr 1957 wird Staatsbürgerkunde zum festen Bestandteil der Lehrpläne der DDR. Und so wurden in der gesamten deutschen demokratischen Republik ca. 50.000 Stunden Staatsbürgerkunde für um die 500.000 Schüler*innen erteilt.

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Ein klares Bild über das genaue Ziel und die Bildungsinhalte von „Stabü“ liefert eine Aussage aus der deutschen Lehrerzeitung aus dem Jahre 1969: „[Die Schüler*innen sollen] zur tiefen Liebe zur DDR, ihrem sozialistischen Staat, und zum leidenschaftlichem Haß gegen die imperialistischen Feinde unseres Volkes [erzogen werden]“. Im Mittelpunkt des Faches stand die politische Sozialisation der Jugend, um so den Fortbestand des sozialistischen Staats zu sichern. Auch kann in diesem Schulfach eine weitere Einflussnahme des Staates in die Leben seiner Bürger*innen gesehen werden, um so für eine dem Regime förderliche Weltanschauung garantieren zu können.

Das hier im Rahmen der „Tools of Thinking“ ausgestellte Staatsbürgerkunde-Heft aus dem Jahre 1986 arbeitet bewusst bildhaft, um seine thematisierten Inhalte zu vermitteln. Um die von der Partei abgesegneten politischen Haltungen in ihren Inhalten stützen, wurden fein säuberlich Artikel aus der Zeitung ausgeschnitten und eingeklebt. So wurde gezielt eine Welt aus schwarz und weiß skizziert. Eine Welt, in der Gut und Böse immer deutlich sich von einander abhoben und es keine komplizierten Grautöne dazwischen gab. Im Rahmen des Unterrichts wurde Zeitungsartikel für Zeitungsartikel ein nahezu zynisches Bild des Schreckens und Niedergangs der westlichen Welt konstruiert, um so die eigenen Mängel und Missstände zu kaschieren.

Die eng abgesteckten und festgelegten Diskussionen und Aufgaben des Unterrichts führten dazu, dass die Schüler*innen zwar im Rahmen der Lehreinheit die geforderten Inhalte reproduzieren konnten, aber hinter diesen nicht überzeugt standen. Dieses Problem blieb auch nicht den Lehrkräften verborgen. Aufgrund dieser Problematik wurde versucht, den Unterricht offener und freier zu gestalten. Dadurch wurde ein Widerspruch geschaffen: Einerseits sollte der Unterricht mehr Freiraum für eine Selbstständige Lösungsfindung der Schüler*innen bieten, andererseits wurden die gewünschten Antworten bereits in den Lehrtexten und Aufgabenstellungen vorweggenommen.

Deutlich wird die einseitige und teils überspitzte Vermittlung beim Thema der Arbeitslosigkeit und Arbeitslosenquote der BRD. Da es in der DDR offiziell keine Arbeitslosigkeit gab, gibt es zu diesem Thema nur Schätzungen, doch auch sie belegen, dass die behandelten Themen stark vereinfacht und beschönigt wurden, um sich vor der westdeutschen Konkurrenz beweisen zu können. So kann man davon ausgehen, dass es in der DDR eine verdeckte Arbeitslosigkeit von bis zu 15% gegeben hat, verglichen mit den westdeutschen 7,2% also mehr als doppelt so hoch (stand 1990).

Durch Margot Honeckers privilegierte Position, im Machtapparat, war es ihr möglich nahezu ohne Einschränkungen im Bildungswesen zu walten. Sie bestimmte in ihrer Amtszeit maßgeblich die ideologische Ausrichtung von „Stabü“.

Margot Honecker Bildungsministerin der DDR und Ehefrau des Generalsekretärs Erich Honeckers

Quellen:

Klasse 7 (1972) – SCRIPTA paedagogica (dipf.de) (02.06.2022)

Verdeckte Arbeitslosigkeit in der DDR | Veröffentlichung | ifo Institut (04.06.2022)

Arbeitslosenquote in Deutschland (1950 bis 2021) | Statista (04.06.2022)

Skepsis und Engagement: Arbeiten zur Bildungsgeschichte und Lehrerbildung – Günter C. Behrmann – Google Books (28.05.2022)

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