Unerhört!

Von einer Sprache, die ohne Worte auskommt.

Ein Beitrag von Hanna Riesner

In Deutschland wird eine Vielfalt verschiedener Sprachen und Dialekte kommuniziert. Eine davon ist die deutsche Gebärdensprache – kurz DGS. Etwa 200.000 Menschen verständigen sich damit.

Sich nicht den Mund verbieten lassen

Wer gebärdet eigentlich?

Die Gebärdensprache wird primär von schwerhörenden, nichthörenden Personen und ihren Angehörigen verwendet. Menschen, die sowohl nichthörend/schwerhörend als auch blind sind, können sogar abgewandelte Gebärdenzeichen über den Tastsinn mitteilen und empfangen.

Wo wird sonst noch gebärdet?

Einige Systeme der Kommunikationshilfe bedienen sich ebenfalls Gebärdenzeichen, diese sind gesondert von der tatsächlichen Gebärdensprache zu betrachten. Nichtsdestotrotz bedienen sie sich einiger Elemente der Gebärdensprache. So etwa die Gebärdenunterstützte Kommunikation. Sie wird häufig begleitend oder Anstelle von Lautsprache in der Verständigung von und mit Menschen eingesetzt, die aus anderen Gründen Schwierigkeiten bei der Kommunikation mit Lautsprache haben. Dazu gehören zum Beispiel einige Menschen mit Mutismus. Lautgebärden können Personen mit LRS beim Lesen und Schreiben lernen unterstützen. Die sogenannte „Zwergensprache“ gewinnt an immer größer werdender Popularität und verspricht, durch vereinzelte Gebärden, die Kommunikation zwischen Eltern und ihren Babys zu erleichtern. Darüber hinaus wird selbst in einigen Sprachen unter hörenden Mitgliedern gebärdet – so etwa unter Frauen des australischen Warlpiri-Stammes. Das Winken zur Begrüßung, der Daumen nach oben, das Peace-Zeichen oder der Mittelfinger – Handzeichen sind durchaus Teil des Alltags von Menschen, die die Lautsprache verwenden.

Die Gebärdensprache ist eine vollwertige, natürlich entstandene Sprache. Entgegen der weit verbreiteten Erwartung, sie wäre ein Hilfsmittel, eine Übersetzung oder Abbildung der Deutschen Lautsprache, verfügt die DGS über eine komplett eigene Grammatik und einen individuellen Wortschatz, der nur eben nicht hörbar, sondern sehbar kommuniziert wird. 

Mit den Augen hören und mit dem Körper reden

Wie funktioniert also die Deutsche Gebärdensprache?

Genau wie die Lautsprache mehr als nur das gesprochene Wort ausmacht, so besteht die Gebärdensprache nicht nur aus Handbewegungen. Mimik und Gestik sind für die Kommunikation unentbehrlich. Außerdem ist die Gebärdensprache dreidimensional. Die Position, in welcher sich die Hände befinden, welche Bewegung ausgeführt wird und in welcher Relation diese sich zum Körper befindet, spielen bei der Verständigung eine essentielle Rolle.

Alle sprachlichen Komponenten, die mit den Händen geformt werden, bezeichnet man als Manuelle Bausteine. Dazu gehören:

  • Die Handform: Sie stellt die kleinste Einheit in der Gebärdensprache dar. Jede Gebärdensprache verfügt über eine begrenzte Anzahl individueller Handformen.
  • Die Handorientierung: Sie verdeutlicht die Stellung, also Beugung oder Streckung von Hand und Fingern.
  • Die Ausführungsstelle: So wird der Raum bezeichnet, an dem die Gebärde gebildet wird. In der Regel befindet sich der Gebärdenraum etwa in Brusthöhe vor dem Körper, kann aber verschiedene andere Körperstellen umfassen, zum Beispiel den Bereich der Stirn, der Nase, der Ohren, der Lippen, des Kinns, der Schultern, der Oberschenkel oder des Bauches.
  • Die Bewegung: Die Bewegung kann durch ihre Richtung, Geschwindigkeit, Größe oder ihre Form (beispielsweise geradlinig, bogenförmig, wellenförmig, zickzack-artig) charakterisiert werden. Dabei ist auch zu beachten, ob sie einmalig oder wiederholt ausgeführt wird, ob sie symmetrisch oder asymmetrisch verläuft und mit welcher Intensität gebärdet wird.

Hinzu kommen Elemente, die mit anderen Körperteilen gebildet werden, die Nichtmanuellen Bausteine. Darunter versteht man:

  • Die Mimik: Verschiedene Gesichtsausdrücke, wie etwa das Augenbrauen hochziehen oder Wangen aufblasen dienen in der Gebärdensprache insbesondere der Vermittlung von Grammatik und Gefühlen. Ein Fragesatz wird beispielsweise durch gehobene Augenbrauen markiert. Ist eine Person wütend, wird dies unter Anderem auch durch den Gesichtsausdruck verdeutlicht.
  • Das Mundbild: Als Mundbild bezeichnet man das meist lautlose Sprechen der Wörter in Lautsprache. Da einige Laute nur schwer durch die Position von Zunge und Lippen ablesbar sind, wird das Wort häufig vereinfacht wiedergegeben. Der Laut „CH“ ist für das bloße Auge schwer erkennbar, deshalb lautet das Mundbild für das Wort „BUCH“ lediglich „BU“. Das Mundbild kann dabei helfen, manuell ähnliche Gebärden zu differenzieren, die Gebärde näher definieren, ebenso die Kommunikation zwischen Hörenden und Nichthörenden erleichtern oder Wörter anzeigen, für die es keine (einheitliche) Gebärde gibt.
  • Die Haltung: Position von Kopf und Körper können näher beschreibende und grammatische und Funktionen erfüllen. Kommuniziert eine Person beispielweise über ihre Arbeit und lehnt dabei ihren Körper entspannt zurück, weist das darauf hin, dass die Tätigkeit wenig anstrengend war. Wird der Kopf zur Seite geneigt, deutet das auf eine Frage hin.
  • Blickrichtung: Augenkontakt und Blickrichtung geben Auskunft über Adressat:Innen, deshalb schauen sich Gebärdende Personen in die Augen und nicht nur auf die Hände.

Außerdem weist die Gebärdensprache einige Grammatische Besonderheiten auf. Wo die Grammatik der deutschen Lautsprache grundsätzlich dem Schema Subjekt-Prädikat-Objekt folgt, wird in der DGS hinter dem Subjekt das Objekt erwähnt und das Prädikat an das Satzende gestellt. Der Satz „Ich esse ein Eis“ würde in Gebärdensprache übersetzt in der Reihenfolge „Ich – Eis – essen“ lauten.

Die einzelnen Elemente können hintereinander eingesetzt werden, oft ereignen sie sich aber zeitgleich. Für die Gebärde des Wortes „dünn“ werden zum Beispiel beide Hände bewegt und dabei simultan die Wangen eingezogen.

Während viele Gebärden wie jede andere Fremdsprache erlernt werden müssen, sind einige ikonisch, also bildhaft aufgebaut und können auch relativ intuitiv von Menschen, die nicht mit Gebärden kommunizieren, verstanden werden. Wie das zum Beispiel aussehen kann, erfährst du, wenn du auf das Banner klickst.

H I E R K L I C K E N

Alles, was mit der Lautsprache formuliert werden kann, kann auch in Gebärden ausgedrückt werden.

Kann man mit Gebärdensprache flüstern?

Natürlich! Worte, die nur für einzelne Personen bestimmt sind, werden den Adressatinnen und Adressaten zugewandt und weggedreht von unerwünschten Zuschauenden gebärdet. Um weniger visuelle Aufmerksamkeit zu erregen werden zusätzlich die einzelnen Gebärden schneller, flüchtiger und etwas kleiner  ausgeführt, üblicherweise befindet sich die Ausführungsstelle etwas tiefer. Möchte man konträr in der Gebärdensprache „schreien“, wird also der Gebärdenraum des Brustbereiches verlassen und in großen, ausladenden Gesten gebärdet. Hinzu kommt eine entsprechende Mimik.

Kann man mit Gebärdensprache singen?

Na klar! Es gibt ganze Gebärdenchöre und Konzerte für und mit Menschen, die die Gebärdensprache benutzen. Schwer- oder Nichthörende Menschen können manche Töne gegebenenfalls kaum oder gar nicht hören, Vibrationen, wie etwa bei Bässen, taktil spüren und die Anweisungen von Dirigent:Innen sehen. Mit ganzem Körpereinsatz und (Rhythmus-)Gefühl werden die einzelnen Gebärden rhythmisiert und tänzerisch dargestellt. Eine Mischung aus Poetry-Slam und Ausdruckstanz!

Gibt es in der Gebärdensprache verschiedene Dialekte?

Ja! Da die DGS erst im Jahr 2002 als eigenständige Sprache anerkannt wurde und der Austausch vorher demzufolge eher in kleineren, lokalen Communities stattfand, sind regionale Unterschiede in der Gebärdensprache recht deutlich erkennbar. Bei grundlegend einheitlicher Grammatik sind es die einzelnen Gebärden, welche voneinander abweichen. So würde eine Süddeutsche Person den Begriff „Sonntag“ gebärden, indem die Hände wie bei einem Gebet zusammenführt werden, während im Norden die flache Hand über den Oberkörper hinweg nach unten bewegt wird. Das Mundbild hilft jedoch, Kommunikationsbarrieren vorzubeugen. Zudem kann bei Verständnisproblemen mit dem in Deutschland einheitlichen Fingeralphabet buchstabiert werden.

Wie viele Gebärdensprachen gibt es?

Es gibt circa 200 verschiedene Gebärdensprachen, die sich in Grammatik, Fingeralphabet und Wortschatz unterscheiden. Darunter auch „International Sign“ – eine Art Esperanto der Gebärdensprache, welche eher als ein variables Hilfsmittel, aus größtenteils ikonischen Gebärden besteht.

Wie schimpft man in Gebärdensprache?

Die Deutsche Lautsprache ermöglicht uns, dank einer facettenreichen Palette an Schimpwörtern, schier unendliche Optionen, unseren Unmut kundzutun. Gleichwohl bietet die DGS ein vielschichtiges Repertoire an Gelegenheiten zum Fluchen. In der folgenden Infografik sind einige davon zusammengefasst.

Klick‘ auf das Banner, um zur Infografik zu gelangen!
Klick‘ auf das Poster für die Druckversion!

Quellen:

[letzter Zugriff 16.06.2023]

  • https://lebendige-gebaerden.de/was-ist-die-gebaerdensprache/
  • http://deaf.uni-klu.ac.at/deaf/wissenschaft_und_forschung/linguistik/bausteine_gs.shtml#handform
  • https://www.faz.net/aktuell/wissen/geist-soziales/die-entwicklung-der-gebaerdensprache-war-eine-stille-revolution-17048808.html
  • https://www.bundesfachstelle-barrierefreiheit.de/
  • https://www.ds.mpg.de/2695002/2014_11#:~:text=Wenn%20jemand%20in%20einer%20Gebärdensprache,zwar%20während%20des%20ganzen%20Satzes.
  • https://yomma.de/enzyklopaedie/gebaerdensprachdialekte/
  • https://gebaerdenlernen.de/index.php?article_id=28
  • https://www.spreadthesign.com/de.de/search/by-category/31/umgangssprache/
  • https://edition.cnn.com/2021/01/26/health/swearing-benefits-wellness/index.html
  • https://www.nationalgeographic.com/science/article/science-swearing-profanity-curse-emma-byrne

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