Die Flaschenpost als Methode der Meeresforschung
ein Beitrag von Hilde Oltmanns
Die Geschichten von Flaschenposten lassen die Abenteuerherzen höherschlagen. Als letzte Botschaft von sinkenden Schiffen oder erste Botschaft von einsamen Inseln. Nicht wenige Schriftstellerinnen und Schriftsteller haben Geschichten mit und um die Flaschenpost gesponnen und zumindest für Meeressehnsüchtlerinnen und Schifffahrtsromantisierer hat die Flaschenpost einen sicheren Platz in der Kiste der emotionalisierten Gegenstände.
Wenn ich also an Küsten entlangspaziere, eine Flasche sichte und diese mit der Hoffnung aus dem Wasser fische, eine zur Menschheit zurückgekehrte Nachricht von hoher See oder fernen Orten gefunden zu haben, wird es sich mit größter Wahrscheinlichkeit um Müll handeln, der zu Unmengen in den Meeren sein Unwesen treibt.
Sicher gibt es eine Möglichkeit, dass ich den Standort einer schiffbrüchigen Seereisenden in der Hand halte, oder eine Aufforderung die letzten Worte eines Verschollenen an Angehörige weiterzuleiten. Viel höher, und leider dennoch mehr als gering, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich einen recht unromantischen Vordruck aus einer Flasche ziehe, der mich, ähnlich wie bei einer Zählerstandsabfrage, auffordert, Daten auf der Rückseite einzutragen und, anders als bei der Zählerstandsabfrage,an die Deutsche Seewarte in Hamburg zu senden. Das heutige Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie.
Dieses Amt beherbergt in seiner Bibliothek eine Sammlung solcher Abfragen, Forschungsmaterial aus dem 19. Jahrhundert. Denn die meisten Flaschenposten wurden vermutlich nicht verschickt, um frohe oder traurige Kunde zu tun, sondern sie wurden genutzt als wissenschaftliches Mittel zur Erforschungder Meere und Ozeane. Sie sollten durch die Ortsangabe von Beginn und Ende der Flaschenreise Aufschluss geben
über die Strömungen der bis dahin recht unerforschten, jedoch für Reise- oder Transportwege immer mehr etablierten Gewässer.
Georg Balthasar Neumayer (1826 – 1909) setzt sich Mitte des 19. Jahrhunderts für diese Forschung mithilfe der Flaschenpost ein und handelte treu seiner Devise, der „Vereinigung von Theorie und Praxis“, als Seefahrer, als Sender und Empfänger der Flaschenposten. Am 17.August.1869 klebte er die erste an ihn zurückgekehrte Karte in das erste von vier dicken Alben.
Die erste Karte von über 600 folgenden Karten, gesammelt, auch nach Neumayers Tod, bis in das Jahr 1933.
Er archiviert die Karten, die den langen und vor allem beschwerlichen Weg bis zur Deutschen Seewarte hinter sich gebracht haben, liest aus ihnen, notiert Gedanken und stellt Thesen über deren möglichen Reiseweg in den Flaschenposten auf.
Das dieser Reiseweg immer nur eine Hypothese sein konnte und nur wenige durch erstaunliche Zufälle den Weg zurück in die Hände der Forschenden geschafft haben, macht die Aussagekraft der Flaschenpost über die Ströme der Meere diese am Ende zu keiner sonderlich geeigneten Forschungsmethode.
Dennoch verliert sie aber nicht ihren Charme als Geschichtenerzählerin. Denn Geschichten erzählen die gesammelten Briefe der Forschungsflaschen dennoch genug.Von einem globalen Projekt und die Freude der Flaschenfindenden mitzuwirken, von Kolonialismus und Unterdrückungan den Fundküsten der Flaschen. Wer wen um Hilfe bittet, wer welche Sprache spricht und schreibt. Geschichten von Urlauben
und von der Suche an Küsten, ob das Meer nicht etwas Kostbares angespült hat. Vom Wert der Wissenschaft und der Flasche selbst.
Vom Wissen über die Welt, deren Vermessung und die Möglichkeiten einen Brief an die Deutsche Seewarte zu senden.
Diese kurzen Einblicke ermöglicht die Sammlung in der Bibliothek des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie,
angestiftet im 19. Jahrhundert durch Georg Neumayer, uns heute.