Persönliche Grenzen als Essenz menschlichen Miteinanders
ein Beitrag von Henrike Gläßer
In unserem Alltag bleiben wir vor einem Stoppschild stehen oder zeigen an, wenn wir in der Klasse sprechen wollen. Wenn wir Menschen uns so oder so ähnlich verhalten, folgen wir generellen Grenzen. Diese gelten in Räumen wie Schule oder Sportverein. Generelle Grenzen beschreiben in diesen Orten allgemein anerkannte, verbindliche Regeln für das Miteinander einer Menschengruppe. Hierzu gehören auch Traditionen, Werte, Aufgaben oder Pflichten. Diesen Grenzen können sich Menschen im Regelfall sehr leicht unterordnen, wenn ihre persönlichen Grenzen dabei nicht völlig übertreten werden.
Persönliche Grenzen entstehen, weil jedem Menschen ein einzigartiges Temperament, eine individuelle Persönlichkeit und Lebensgeschichte sowie eigene Ansichten und Stimmungen inne wohnen. Die Persönlichen Grenzen eines Menschen entstehen in der/den Familie/n, in der/denen er während seines Aufwachsens lebt. Sie werden erweitert, verändern sich dynamisch und verfestigen sich im Lauf des Lebens in allen Räumen in denen die Person sich bewegt. Menschen erleben ganz unterschiedlich, wie es sich anfühlt geliebt zu werden oder was sie brauchen, um sich geliebt zu fühlen. Gemeinsam ist ihnen jedoch, dass sie sich NICHT geliebt fühlen, wenn ihre persönlichen Grenzen verletzt werden. Dies vermindert des Selbstwertgefühl und die Fähigkeit, konstruktiv zu handeln. Persönliche Grenzen entwickeln sich ab der Geburt. Um eigene oder fremde persönliche Grenzen wahrnehmen zu lernen, können Instinkte und Bauchgefühl eine Rolle spielen. Dem Beobachten von sich selbst oder anderen kommt der gleiche Stellenwert zu. Paradox dabei ist, dass die eigenen Grenzen oft erst dann erkannt werden können, wenn sie von anderen übergangen werden und dass wir die Grenzen anderer am deutlichsten kennenlernen, indem wir mit ihnen kollidieren.
Damit ein Mensch schon als Kind lernt, Grenzen zu wahren, ist die Rolle der primären Bezugspersonen besonders entscheidend. Eine Bezugsperson sollte fähig sein, ihre persönliche Grenzen wahrzunehmen und als Vorbild für diese einzustehen. Außerdem ist sie dafür verantwortlich, dass das Kind lernt auf seine Bedürfnisse zu achten. Vor allem kleinere Kinder sind noch nicht in der Lage, ihre Grenzen zu schützen. Sie können ihre Umwelt zwar darauf aufmerksam machen, wenn ihre Grenzen überschritten werden, sich aber nicht gegen Verletzungen oder Übergriffe wehren. Werden die Grenzen eines Kindes immer wieder missachtet, wird es lauter die Aufmerksamkeit der Erwachsenen einfordern, beginnt die Grenzen anderer zu verletzten oder wird introvertiert und destruktiv sich selbst gegenüber.
Solange man noch übt, die Grenzen des Kindes zu lesen oder hören ist es wichtig die auffälligen Grenzen zu respektieren. Ein Baby schaut zum Beispiel manchmal leer und ausdruckslos bevor es auf Berührungen reagiert, ein Kleinkind dreht den Kopf weg, wenn es nicht geküsst werden möchte. Ab der Autonomiephase (ca. 2 bis 4 Jahre) kann es „NEIN!“ als verbale Abgrenzung nutzen. Die Grenzen eines Kindes zu respektieren bedeutet nicht automatisch, dem Anliegen mit „ja“ zu begegnen. Eine Grenze zu respektieren, heißt in erster Linie, sie wahr- und ernst zu nehmen.
Je besser ein Kind lernt, Grenzen wahrzunehmen, zum Ausdruck zu bringen und im Gedächtnis zu behalten, desto befriedigender und erfüllender wird sein Kontakt und die Kommunikation mit anderen Menschen sein. Es gilt herauszufinden, wie es sich im Verhältnis zu den Grenzen anderer selbst intakt halten kann. Wir Menschen benötigen Grenzen als Struktur und Richtwert für unser Verhalten und unser Leben und als essenzielles Bindeglied. Im Konflikt entsteht Verbindung, die wir Menschen als soziale Lebewesen benötigen, um ein erfülltes Leben zu führen.
Quellen
- Juul, Jesper (2009): Grenzen, Nähe, Respekt: Auf dem Weg zur kompetenten Eltern-Kind-Beziehung, Leipzig.
- Perry, Philippa (2020): Das Buch, von dem du dir wünschst, deine Eltern hätten es gelesen (und deine Kinder werden froh sein, wenn du es gelesen hast), Berlin.