Schichtwechsel der sprechenden Wände
Ein Stück Papier, mit etwas Schrift und ein bisschen Farbe, was soll daran schon so interessant sein? Plakate sind ein großer Teil unserer Umwelt und trotz der riesigen Auswahl, die uns geboten wird, des offensichtlichen Herumhängens und Krachmachens, fällt es uns leicht, über sie hinwegzusehen. Aber diese Papierstücke haben mehr drauf, als es vielleicht auf den ersten Blick scheint. Sie sprechen auf unterschiedliche Art und Weise mit dir, also lass dich nicht täuschen und nimm dir einen Moment Zeit, um die Schichten der Plakatwelt zu entdecken.
Wie war das früher?
Plakate beherrschen die Kunst uns zu informieren. Schon in prähistorischen Zeiten wurden Botschaften wie Jagderfolge an Höhlenwände gebracht und von allen bewundert. Später teilten sich die Pioniere des Plakatdesigns im alten Ägypten über eingravierte Steintafeln oder Papyrusrollen mit, während die Römer die Holztafeln präferierten. Aus diesen Vorformen entwickelte sich das Plakatwesen im Laufe der Jahrhunderte weiter. So wurden während des Mittelalters an Marktplätzen, Stadttoren und vor Kirchen selbstgeschriebene Papierstücke ausgehangen und es bildeten sich erste Orte heraus, an denen wild geklebt wurde. Sogar Hauswände, Zäune und Bäume hielten als Fläche her. Erst im Jahr 1854 hatte Ernst Litfaß eine Idee, um dem wilden Plakatieren entgegenzuwirken. Er stellte erstmals die nach ihm benannte Litfaßsäule auf den Gehweg der Straßen, um der Präsentation der Plakate Struktur zu geben.
Doch nicht nur die Orte veränderten sich im Laufe der Geschichte, sondern auch die Gestaltung der Plakate selbst wurde immer aufwendiger. Mit der Renaissance kündigten Künstler ihre Meisterwerke durch handgestaltete farbige Plakate an. Damit funktionierten sie unbewusst die Straßen zu einer lebendigen Galerie um. Später trugen beispielsweise auch Henri de Toulouse-Lautrec und Jules Chéret zu einer Blütezeit des Plakatdesigns bei. Grund dafür war, dass sie die Informationen nicht einfach sachlich darstellten, sondern diese in lebhafte, dynamische Bilder verwandelten und mit reduzierten, aber durchgestalteten Schriften verbanden. Ihre Motive galten vor allem dem Pariser Nachtleben des späten 19. Jahrhunderts. Sie wussten, wie Farben und Linien die Aufmerksamkeit der Betrachter auf sich ziehen und hatten bedeutenden Einfluss auf das moderne Plakatdesign – eine Fusion von Kunst und Werbung, die sich ästhetisch in das Stadtbild eingliedert. Plakate bekamen immer mehr Aufmerksamkeit und mittlerweile gibt es eine riesige Auswahl an Plakaten, die sich in ständiger Konkurrenz befinden und weitere Entwicklungen provozieren. Die Reichweite, die vorher noch auf Standorte begrenzt war, wird durch die Digitalisierung und soziale Netzwerke immer höher und Botschaften können weltweit eingesehen werden. Heute sind die visuelle Kultur und das analoge Plakat immer noch nicht wegzudenken. An jede Ecke kann Blickkontakt zu ihnen hergestellt werden. Und neben dem legalen Weg Botschaften anzubringen ist im Stadtbild auch die Wildplakatierung unübersehbar.
Was bedeutet eigentlich Wildplakatierung?
Alle Plakate, die in der Öffentlichkeit angebracht werden und keine Erlaubnis dafür haben, sind quasi erstmal illegal. Und in einer Welt, in der kommerzielle Werbung dominiert, ist das wilde Plakatieren eine kleine Rebellion, die das Stadtbild auf ihre Weise mit Leben füllt und monotone Werbelandschaften durchbricht. Es bildet einen Teil der Kultur und kann Künstler:innen und kleineren lokalen Projekten, die nicht die Ressourcen großer Konzerne haben, zur Reichweite verhelfen. Auf unkonventionelle Weise können sie sich Gehör verschaffen, den Blick des Publikums schärfen und neue Perspektiven eröffnen. Durch das wilde Plakatieren entstehen an unerwarteten Orten visuell ansprechende Bilder. Sie können farbenfroh, provokativ oder auch mal lustig sein, da sie fern von Regeln existieren. Sie verleihen den grauen Straßen ein wenig mehr Charakter und schaffen einen Raum für Vielfalt und Individualität. Plakate werden übereinander geklebt, Schichten bilden sich und das Wetter gibt ihnen Risse, Wellen und neue Farbe. Ab und zu kommt mal jemand vorbei und nimmt einen Teil des entstandenen Bildes mit. Das Abreißen der Schichten ist bereits in der Kunstwelt angekommen und folgt dem Zufallsprinzip der Décollage. Auch für den Kunstunterricht dient es immer wieder als Inspirationsquelle. Natürlich muss ein respektvoller Umgang mit öffentlichem Eigentum immer beachtet werden. Ziel ist ja, eine gute Stimmung zu verbreiten und miteinander zu kommunizieren.
Plakate sind ein Medium der Massenkommunikation und wollen durch visuell ansprechende Gestaltung so viele Personen wie möglich erreichen. Über kurze Botschaften und auffällige Farben, Schriften, Bilder oder grafische Elemente sollen Blicke gelenkt und Informationen schnell aufgeschnappt werden. Häufig werden sogar Emotionen angesprochen, die einen wichtiges Mittel sind, Interaktionen und Reaktionen hervorzurufen. Das Plakat ist also ein wahrer „Animateur“ der Straße.
Und wie du selbst so einen „Animateur“ anbringen könntest und welche Schritte dabei beachte werden sollten, schau mal hier:
Und was passiert nach dem Plakatieren?
In der Regel werden Plakate nach einer gewissen Zeit durch die verantwortliche Firma oder die Stadt wieder entfernt und entsorgt. Aber was passiert mit den restlichen Plakaten, die beispielsweise illegal angebracht wurden? Viele davon bleiben erstmal hängen, bis sie durch den nächsten Plakatierer oder Passanten abgerissen werden und damit unfreiwillig bei der Kreation einer Décollage helfen. Auch das Wetter lässt die Plakatlandschaft nicht unberührt. Da es sich beim Wildplakatieren meist kein Affichenpapier verwendet wird, sondern ein etwas weniger hochwertiges Papier, ist dieses anfälliger für die Umwelteinflüsse. So dringt Wasser beispielsweise schneller in die übereinander geklebten Schichten und lässt diese aufquellen, den Kleber von der Wand ablösen, sich wellen oder gar schimmeln. Oft nehmen die UV-Strahlen den Plakaten sogar ihre Farbe, sodass sie verblassen. Ab und zu fällt dann auch mal etwas von er Wand ab und bleibt liegen, da sich niemand wirklich verantwortlich fühlt, was natürlich ein Problem darstellt. Wir sollten nicht vergessen, dass beim Plakatieren viel Müll anfällt und wir sorgfältig damit umgehen müssen.
Wenn wir also das nächste Mal an einer Plakatlandschaft vorbeigehen, lasst uns diese Form der Kommunikation schätzen, uns um sie kümmern, sie nutzen und auch im Stadium des Verfalls ihren Reiz erkennen. Übereinandergeklebte Botschaften können Neues hervorbringen und lassen durch den Einfluss der Zeit ab und zu auch Altes wieder durchblicken. Die wahre Kommunikation verbirgt sich hinter den Schichten.
Quellen
Geschichte
- Marco (2021): Plakat-Geschichte. Online: Weblink (letzter Abruf: 20.06.2023)
- Duden Learnattack (2010): Plakat. Online: Weblink (letzter Abruf: 20.06.2023)
- Cords, Suzanne (2022): Die Geschichte des Plakats. Online: https://www.dw.com/de/kunst-konsum-plakatgeschichte/a-61407035 (letzter Abruf: 20.06.2023)
- Sauer, Michael (2007): Historische Plakate. Online: https://www.bpb.de/themen/medien-journalismus/bilder-in-geschichte-und-politik/73211/historische-plakate/ (letzter Abruf: 22.06.2023)
Wildplakatierung
- wtm Marketing & Vertriebsconsulting GmbH (2020): Wildplakatierung: Sein oder nicht Sein, ist nicht die Frage. Sondern: Wer haftet?. Online: https://wtm-aussenwerbung-berlin.de/wildplakatierung-sein-oder-nicht-sein-ist-nicht-die-frage-sondern-wer-haftet/ (letzter Abruf: 20.06.2023)
Autorin: Elena Kunze