Schall und Rauch
Die Tabakpflanze wurde erstmals in Peru und Mexiko kultiviert. Sie diente einerseits als Heilmittel bei Vergiftungen und Tierbissen, andererseits war sie wohl die wichtigste Pflanze für Schamanen in ganz Amerika. Durch den Rauch und das Rauchen nahmen sie Kontakt zu Geistwesen auf. Im Zuge der Kolonisation wurde er dann nach Europa verschifft, seiner rituell-religiösen Funktion beraubt, und zunächst als Heilmittel und Schnupftabak verwendet, und dann ab dem Ende des 16. Jahrhunderts auch in Pfeifen und als Zigarren geraucht. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurden dann auch Zigaretten produziert.
Als Kommunikationsmittel wird Tabak auf verschiedenen Ebenen von Menschen benutzt. Die Indigenen in Amerika nutzten Rauchzeichen oft zur Übermittlung von Informationen über weite Strecken. Heutzutage werden Rauchzeichen unter anderem noch in der Schifffahrt verwendet, um Notsignale mit verschiedenfarbigem Rauch auszusenden, oder in Rom, wenn ein neuer Papst gewählt wurde. Beim Inhalieren von Tabak kann zwischen der biologischen Wirkung im Körper und der sozialen Rituale, die das Rauchen mit sich bringt, unterschieden werden. Die Alkaloide Nikotin und Carbolin sowie das etherische Öl Myristicin, 3 der 2500 Wirkstoffe in industriell hergestellten Zigaretten, haben in höheren Dosen halluzinogene Wirkung, in geringeren wirken sie anregend, Hunger unterdrückend und die Nerven beruhigend. Der Zigarettenkonsument hat hier bei stressiger Konfrontation mit anderen Menschen eine körperliche Reaktion, Gespräche sind weniger angstbesetzt, er/sie kann gelassener kommunizieren. Bezeichnend für die körperliche stressreduzierende Wirkung ist der Werbeclip der Zigarettenmarke HB in den 60er Jahren, in dem das total gestresste HB-Männchen durch das Inhalieren einer HB Zigarette vom „in die Luft gehen gerettet“ wird: “Warum denn gleich in die Luft gehen, greife lieber zur HB!“
Die soziale Wirkung des Zigaretterauchens bestand schon im 17. Jahrhundert in der sozialen Angleichung, „eine der wenigen sozialen Praktiken, die klassenübergreifend ausgeübt wurde.“ so: Markwardt, Nils: Die letzte Zigarette. In: Philosophie Magazin Nr. 44 (2019). Abgerufen am 04.05.23 unter: https://www.philomag.de/artikel/die-letzte-zigarette. Auch als Symbol des Aufbegehrens gegen die Obrigkeit war es schon Mitte des 19. Jahrhunderts beliebt. Damals schrieb die Neue Preußische Kreuzzeitung schon: “mit der Cigarre im Mund wagt ein junges Individuum ganz andere Sachen, als es ohne Cigarre sagen würde“ Im 19. und 20. Jahrhundert motivierten dann auch bekannte Vorbilder wie Sartre oder Camus zum Zigarettenkonsum, man wollte genauso cool wirken. Auch Rauchikonen wie Marlene Dietrich waren für viele Frauen eine wichtige Identifikationsfigur. Nicht zuletzt die Kriege, angefangen mit dem Krimkrieg im 19. Jahrhundert und dann die 2 Weltkriege waren für die Zigarettenindustrie große Profitverstärker. Abgesehen von der Hunger unterdrückenden Wirkung wurde beim gemeinsamen Rauchen ein Gefühl der Gemeinschaft erzeugt, fast lebensnotwendig in diesen extremen Zeiten. Im heutigen Alltag erleichtert das Zigaretterauchen die Kommunikation enorm. Bei der Arbeit sind oft Zigarettenpausen ein akzeptiertes Ritual, das neue Kräfte mobilisiert, bei den Rauchern das Gefühl von Zeitdruck abschwächt und nicht zuletzt ein Wirgefühl erzeugt, bei dem auch mal persönlichere Gespräche entstehen können. Eine elegante Brücke beim Kennenlernen bietet sich durch Anbieten oder Erfragen einer Zigarette, wobei ein Austausch durch Rauchersolidarität oft problemlos möglich ist und ein guter Grund, eine fremde Person anzusprechen. Im weiteren Kontakt bietet die Zigarette dann sowohl ein einfaches Tätigkeitsfeld für nervöse Hände als auch beim Inhalieren „Extrazeit“ für Überlegungen und nicht peinliches Schweigen.
Insgesamt hat Zigarettenkonsum also eine starke kommunikationsfördernde Wirkung. Sehr schade, dass Rauchen so ungesund ist und süchtig macht!
Quellen
- Rätsch, Christian: Schamanenpflanze Tabak Band 1 (2002)
- Markwardt, Nils: Die letzte Zigarette. In: Philosophie Magazin Nr. 44 (2019). Abgerufen unter: https://www.philomag.de/artikel/die-letzte-zigarette