Digitale Perspektive

„Um klar zu sehen, genügt oft ein Wechsel der Blickrichtung.“

–       Antoine de Saint-Exupéry 

ein Beitrag von Emma Rauch, Marlene Kreidt, Elisabeth Schreiber, Maya Winkens


Die Idee

Die Epoche der Moderne, die etwa ab dem späten 19. Jahrhundert bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts reicht, zeichnet sich durch eine Vielzahl an künstlerischen Perspektiven und Stilen aus, die traditionelle Normen und Konventionen radikal hinterfragten und neu transformierten. Während in der Renaissance, dem Barock und dem Klassizismus die naturgetreue Darstellung der Wirklichkeit und die lineare Perspektive dominierten, brachen die Künstler der Moderne mit diesen Traditionen und entwickelten neue, oft revolutionäre Ansätze. So entwickelten beispielsweise Pablo Picasso und Georges Braque den Kubismus, der die herkömmliche Perspektive aufbrach und Objekte aus mehreren Blickwinkeln gleichzeitig darstellte. Aber auch andere Stile, wie der Expressionismus sowie der Surrealismus und die abstrakte Kunst erkundeten Perspektive und Abstraktion. Diese verschiedenen Stile und Perspektiven der modernen Kunst verdeutlichen den radikalen Wandel und die innovative Kraft dieser Epoche, die die Kunstwelt nachhaltig veränderte und den Weg für zahlreiche nachfolgende künstlerische Bewegungen ebnete. In der Kunstpädagogik spielt die Perspektive und der Perspektivwechsel eine zentrale Rolle, da sie den Schülerinnen und Schülern helfen, ein tieferes Verständnis für die Vielfalt der Wahrnehmung und Darstellung zu entwickeln. Der Perspektivwechsel ermutigt das bewusste Ändern des Blickwinkels oder der Darstellungsmethode – zu kreativem Denken und Problemlösungen. Insgesamt wird ein Bewusstsein geschult, dass es in der Kunst keine einzige „richtige“ Sichtweise gibt, sondern dass die Interpretation und Darstellung von Realität vielfältig und subjektiv sein kann. Dies fördert nicht nur die künstlerische Ausdrucksfähigkeit, sondern auch die Fähigkeit zur Empathie und zum Perspektivwechsel in anderen Lebensbereichen. Um dieses Bewusstseinswerdenden Prozess der Rezeption umzusetzen, haben wir die zwei exemplarische Werke „Der Schrei“ von Edvard Munch und „Selbstporträt“ von Frida Kahlo genutzt. Das Ziel unserer Arbeit ist durch eine möglichst genaue Beobachtung der ursprünglichen Werke, diese in einer neuen Perspektive von der KI generieren zu lassen.

„Der Schrei“ von Edvard Much, links: Ergebnis nach erstem Prompt (aus „Vogelperspektive“), rechts: finales Ergebnis seitliche Ansicht (siehe Prompt 1 unten)

Der Prozess

Der Prozess war herausfordernder als zu Beginn gedacht. Wir beschäftigten uns mit unterschiedliches AI-Tools für die Bildgenerierung. Nach kurzer Recherche eignete sich das Tool „Midjourney“, aufgrund seiner verblüffenden Ergebnisse in hoher Auflösung, als das Beste. Außerdem verwendeten wir die App „Playground“, die mit ihren verblüffend ähnlichen Ergebnissen die gewünschten Werke generiert. Das Tool „Dall-e“ war bereits am Anfang des Prozesses problematisch, da die ausgewählten Ursprungswerke der Künstler*innen durch Urheberrechte nicht generiert wurden. Damit arbeiteten wir dementsprechend nicht weiter.

Das Tool Midjourney kann nur über die Kommuniationsapp „Discord“ genutzt werden, weshalb eine Anmeldung und Abonnement vorab notwendig war.

Zuerst beschrieben wir die ausgewählten Werke: „Der Schrei“ von Edvard Munch und das „Selbstporträt 1940“ von Frida Kahlo selber, indem wir das Rezipierte beschrieben. Für die Bildgenerierung wird ein Prompt geschrieben, der dann mit der Einstellung „/imagine prompt:“ ausgeführt wird.

Die ersten Ergebnisse, die wir durch diese Methode erhielten, entsprachen leider nicht unseren Vorstellungen. So nahm die Künstliche Intelligenz bei dem Prompt: “Das Gemälde der Schrei von Edvard Munch in Vogelperspektive” das Wort “Vogel” wortwörtlich und generierte ein Porträt von einem Vogel. Innerhalb des Prozesses beschäftigten wir uns weiter mit dem Tool „Midjourney“ und erkannten, dass es abgesehen von der Einstellung „/imagine“ noch viele weitere hilfreiche Funktionen gibt. Eine weitere wichtige Erkenntnis war, dass die auf englisch beschriebenen Prompts bessere Ergebnisse erzielten als die deutschen. Mit der Einstellung „/describe imagine:“ schreibt die KI selber Prompts, die die ausgewählten Werke beschreiben. Wir nutzten im zweiten Schritt dann genau diese beschriebenen Prompts und schrieben diese für die benötigte Perspektive um. Teilweise erschienen in den generierten Bildern nicht beschriebene Dinge und Lebewesen. Zum Beispiel wurden Menschen hinzugefügt oder, wie bei den Bildern von Frida Kahlo, ganze Skelette. Die Skelette ließen wir in den Bildern von der abgebildeten Kahlo. Die zusätzlichen Menschen wurden bei den Bildern „Der Schrei“ mit der Einstellung „—no: people“ weggelassen.

Das Ergebnis

Insgesamt lernten wir, dass eine möglichst genaue Bildbeschreibung die besten Ergebnisse erzielt. Trotz der detailreichen Beschreibungen konnte die KI nicht alle Vorstellungen umsetzen. Es zeigten sich immer wieder Schwierigkeiten bei dem Generieren von Händen mit fünf Fingern. Außerdem wurden trotz mehrerer Beschreibungen und Anweisungen („no—“) bestimmte Ausführungen wie farbige Punkte etc. weiterhin ausgeführt. Midjourney generiert auf dem eingegebenen Prompt immer mit vier verschiedenen Bildern, aus denen dann die favorisierten Exemplare ausgewählt werden können. Diese können mit der Funktion “vary (region)” zusätzlich an ausgewählten Bildstellen bearbeitet werden. So war uns beispielsweise diese Funktion hilfreich, um die Blumen auf Fridas Kopf, oder den Zaun im Hintergrund von “der Schrei” generieren zu lassen. Bei den finalen Ergebnissen, die hier ausgestellt werden, haben wir teils Bilder aus den ersten Ergebnissen gewählt, aber in den meisten Fällen, Bilder, die wir Schritt für Schritt immer präziser beschrieben haben. Teilweise zeigte sich jedoch, dass die Ergebnisse die uns zuvor gefallen hatten, durch die weitere Beschreibung anders generiert wurden, als wir es planten. Dabei wurden Teile des Bildes geändert, obwohl wir diese nicht zuvor ausgewählt haben. Es werden in der Ausstellung (AI)Vantgarde Bilder aus unterschiedlichen Prozessstellen veranschaulicht.

KI-Tools

* Midjourney
* Playground
* ChatGPT

Quellen

* Antoine de Saint-Exupéry (1943): Der kleine Prinz.
* B. Dupré (2012): 50 Schlüsselideen der Menschheit. Spektrum Akademischer Verlag: Heidelberg.
* Edvard Munch: Der Schrei (1893): Ol. Tempera, Pastellkreide auf Pappe: 91 x 73,5 cm; National Museum of Art, Architecture and Design, Oslo.
* Frida Kahlo: die kaputte Säule (1944): Öl auf Leinwand: 43×33 cm; Museum Dolores Olmedo Patiño, Mexico City.