Esslöffel
183 × 43 × 22 mm
Holz und Metall
Fundort: Eisenbahnstraße 109
13.05.2014
Ich war bei Freunden zum Mittagessen eingeladen, es gab selbstgemachte Karottensuppe mit Ingwer. Schon beim Tischdecken fiel mein Blick auf diesen Esslöffel. Die Maserung seines Holzgriffes und der Rost an seinem metallenen Laffen funkelten im Schein des Sonnenlichtes, welches durch das offene Fenster strahlte.
Der Esslöffel ist für mich ein Symbol des Zusammenkommens und miteinander Speisens und somit auch von Freundschaft. Wenn immer Menschen zusammenkommen um miteinander zu essen, ist meist ein Löffel vorhanden zum Austeilen und steht somit auch für das Teilen miteinander. In China und Japan wird dieses Essgerät beispielsweise fast ausschließlich zum Austeilen der Nahrung verwendet. Dieser Esslöffel birgt aber noch eine Besonderheit: Er kommt aus der Schublade eines Wächterhauses in der Leipziger Neustadt.
Wie so viele Gebiete Ostdeutschlands hat auch Leipzig nach der Wende mit einer massiven Bevölkerungsflucht zu kämpfen gehabt. Auf der Suche nach besser bezahlter Arbeit ließen viele Menschen ihr Zuhause und hinterließen damit zahlreiche leere Häuser, welche aufgrund der sinkenden Nachfrage nach Behausung vorerst leer stehend blieben. Noch heute finden sich viele dieser Gebäude in Leipzig, vor allem in dessen Osten. Um sie vor dem endgültigen Verfall zu bewahren, wurde das Konzept der „Wächterhäuser“ entwickelt. Im Raum des Neustädter Markts kümmert sich vor allem der Verein Haushalten e.V. um Nutzungs- und Beratungsmodelle zur Wiederbelebung verlassener Gebäude und Ladenlokalen. Interessenten, wie zum Beispiel Künstler, die den zur Verfügung stehenden Raum als Atelier nutzen möchten, können Nutzungskonzepte schreiben und einreichen. Die geeignetsten Konzepte werden ausgesucht und letztendlich umgesetzt. Ohne seine Wächter würde dieses Gründerzeithaus verfallen.
So war dies auch der Fall bei dem Haus auf der Eisenbahnstraße 109. Bis 2007 stand es für fünf Jahre leer, dann wurde von Haushalten e.V dieses Haus als das erste Wächterhaus im Leipziger Osten ins Leben gerufen. Das besondere an dieser, wie auch an anderen Gestattungsvereinbarungen über weitere Wächterhäuser in Leipzig ist, dass seine Bewohner keine Miete zahlen, sondern es auf eigene Kosten weiter ausbauen und instand halten. Doch die die „Hauswächter“ passen nicht nur auf das Haus auf und schauen zum Beispiel, dass das Dach dicht bleibt und erledigen Ausbesserungsarbeiten. In der Eisenbahnstraße 109 wurden darüber hinaus zahlreiche Nutzungskonzepte umgesetzt, es entstanden zum Beispiel das Sozialwerk, eine Galerie für Computerkunst und Computerinstallationen sowie bildende und darstellende Künstler, der Verein doppelplusgut und die Vorratskammer. Damit beteiligte sich die Nutzergemeinschaft maßgeblich an den Veranstaltungen im Stadtteil und trugen dazu bei, das verwaisende Quartier der Stadt wieder für die Bürger nutzbar und attraktiv zu machen. Im Gegenzug bat das Haus seinen Nutzern Raum zur Entfaltung ihrer kreativen und sozialen Potentiale und gab ihnen die Chance, ihre Lebens- und Arbeitswelt selbst zu gestalten.
In diesem Nebeneinander von Verfall und Aufbruch machen sich Menschen nützlich, nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Gemeinschaft. Menschen treffen zusammen, sind offen für Experimente und entwickeln aus Altem heraus Neues. Dabei handelt es sich um eine Zwischennutzung der Gebäude, welche zu einer langfristigen, stabilen Nutzung führt. der Leerstand wird somit nicht zum Problem, sondern zum Potential für eine Belebung des sozialen und kulturellen Lebensraumes. So dienen sie nun als Räume für Kunstausstellungen und Künstlerateliers, Volksküchen und Versammlungsorte der Kommune. Genau dies ist für mich ein Zeichen von nachhaltiger Nachbarschaft.
Als Ende 2011 die Gestattungsvereinbarung für das Haus auf der Eisenbahnstraße 109 auslief, wurde gemeinsam mit den Eigentümern und Nutzern nach einer weiteren Perspektive zur Nutzung des Hauses gesucht. So konnten die bisherigen Nutzer zu günstigen Konditionen direkte Mietverträge mit den Eigentümern abschließen. Damit gilt das Haus als „entlassen“, wieder nutzbar in einem stabilen und längerfristigen Einsatz.
Das Konzept Eigeninitiative gegen sehr günstigen Wohnraum führt zum kreativen Wiederaufbau längst verlassener Häuser und rettet ihre Fassaden sowie das soziale und kulturelle Leben, was sich in und um sie herum abspielt. Der Esslöffel als Sinnbild für das Teilen eines gemeinsamen Gutes repräsentiert für mich diese Gemeinschaft. Deshalb fragte ich meine Freunde, als der letzte Löffel voll Suppe geleert war, ob ich diesen Esslöffel ausstellen dürfte. Und mit ihm ihre Geschichte und Perspektive zur Umsetzung der Idee von nachhaltiger Nachbarschaft im Leipziger Osten.
Literatur- und Quellenverzeichnis
https://www.youtube.com/watch?v=Stwc2hxLAyE
https://www.youtube.com/watch?v=KGeUPre2_lI
http://www.haushalten.org/
http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2014/02/19/dlf_20140219_1010_110734d7.mp3
http://www.klassenarbeiten.de/referate/sonstige/esskultur/esskultur_64.htm
http://de.ask.com/wiki/Essbesteck?lang=de#L.C3.B6ffel
http://www.haushalten.org/detail/objekte_e109.asp?bURL=de/entlassene_haeuser.asp&bTxt=Entlassene+H%E4user
Autor
Elisabell Beyer