Kachelofenecke


Neustädter Fundstücke

Kachelofenecke

50,5 x 40,5 x 40,4 mm
Keramik, grün lasiert
Fundort: Lutherplatz
gefunden am 20. April 2012

Abgebrochene Ecke eines alten Kachelofens. Aus Keramik mit Teilweise noch grünlicher Lasur. An zwei Seiten noch zu erkennen: Florale Fragmente. Abgebrochene, untere Seite erinnert nun an grauen Stein. Halb verdeckt von Erde am Lutherplatz in Leipzigs Neustadt gefunden.

Der Himmel ist grau. Ich laufe durch die Straßen. Lasse langsam die Häuser und Straßenschilder an mir vorbei ziehen. Habe eigentlich kein Ziel.
Nur vorm Regen wieder zuhause zu sein.
Laufe.
Ludwigstraße. Hedwigstraße. Mariannenstraße. Neustädter Straße. Meißener Straße.
Sehe hierhin und dorthin. Bin auf der Suche. Habe schon kleine, ausgeblichene Puzzleteile gefunden. Mache nun eine Pause.
Und stöbere dann durchs Gebüsch. Entdecke dort, halb von Erde verdeckt, eine alte Kachelecke. Noch erkennbar die grünliche Lasur und die Spitze eines eingearbeiteten Blattes.
Wo kommt die wohl her?
Hebe die Kachelecke auf, betrachte sie. Nehme sie mit.
Schaffe es noch vorm Regen nach hause.

Die Sonne scheint. Bin wieder unterwegs und laufe durch die Straßen.
Schaue hier und da in einen Laden.
Lasse mich dann irgendwann vor einer kleinen Bäckerei nieder und genieße leckere Baklava. Die Bahn fährt vorbei, Autos, Fahrräder, Fußgänger. Ich beobachte.
Neben mir am Tisch sitzt ein älterer Mann und genießt ebenfalls Baklava. Mit Kaffee.
„Schöner Tag heute.“ Bemerkt er und sieht mich an.
„Wunderbar“ erwidere ich, nutze die Gelegenheit und schon sind wir im Gespräch. Ich frage ihn, ob er hier in der Leipziger Neustadt lebt und wenn ja, seit wann. Ich erzähle ihm von unserem Projekt an der Uni, dass wir uns mit der Neustadt beschäftigen, eine Geschichte über etwas Gefundenes schreiben sollen und und und.
Der Mann hebt die Hände. Er lacht.
„Eins nach dem anderen, junge Dame!“
Er beginnt ein bisschen zu erzählen, von seinen Erinnerungen an die Neustadt vor über 40 Jahren.
Es war 1965, als er mit seiner Frau hierher kam.
An was er sich erinnere?
Das die Toiletten hinterm Haus, die Zimmer dafür aber günstig waren. Sie seien damals in die Meißner Straße gezogen und er hoffte, in Leipzig Arbeit zu finden.
Wie die meisten Familien in der Neustadt, verdingte er ihren Lebensunterhalt als
Gast- und Gelegenheitsarbeiter.
Der Mann hält inne, in Gedanken versunken.
Da erzähle ich ihm von meinem Fundstück, der kleinen Ecke von einem Kachelofen.
„Jaa, die Kachelöfen! Mit denen wird ja auch heute noch viel geheizt.“ antwortet er darauf.
Und dann erzählt er mir vom Winter 1969, an den könne er sich besonders gut erinnern. Da war sein Sohn gerade ein paar Monate alt. Und draußen waren es -21°C! Einer der kältesten Winter sei das gewesen.
„Da konnte man kaum atmen draußen. Bitterkalt.“ Er schüttelt den Kopf, als er daran denkt.
„Ich weiß noch, wie ich raus bin zum Schuppen, Kohle holen, damit der Ofen am brennen bleibt. Doch im Zimmer hat es immer irgendwo gezogen. Da wurde es kaum wärmer. “
Ich kann mir die Kälte nicht vorstellen. In zugigen Zimmern, ohne Heizung. Bei -21°C.
„Und an einem Tag, das muss irgendwann im Januar gewesen sein, da war es so kalt, dass es einfach nicht warm wurde bei uns. Wir hatten ja nur so einen kleinen Ofen.
Jaa … und da sind wir dann in die Neustädter Straße 20. Das Haus steht schon lange nicht mehr. Das wurde abgerissen, nachdem es halb eingestürzt war. Doch damals wohnten Freunde von uns dort und die hatten einen großen Kamin. Da sind wir dann hin, durch die Kälte. Und als wir da ankamen, war das Zimmer schon voller Leute!
Das war was. Alle zusammen in dem Zimmer mit dem großen Kachelofen. Wenigstens war es aber dann warm. Und das Beste war, dass jeder noch irgendetwas eingepackt hatte: Brot, ein Stück Käse, Milch … “.
Er erzählt von einem kleinen Picknick in einem einigermaßen geheizten Raum. Und von der Kälte, welche die Menschen zusammen gebracht hat.
„Daran habe ich schon lange nicht mehr gedacht.“ bemerkt er und schlürft seinen Kaffee.
Ich bedanke mich bei ihm für seine Erinnerungen bevor ich mich wieder auf den Weg mache.
Als ich nun durch die Straßen laufen, entstehen in meinem Kopf noch einmal Bilder des eben Gehörten.
Die Sonne scheint.
Ich mache mich auf den Weg nach hause.


Quellen

Langzeitwetter
Historisches aus dem Leipziger Osten

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Autor
Zarah Jung

Neustädter Fundstücke