Trillerpfeife

Neustädter Fundstücke

Trillerpfeife

56 × 20 × 25 mm
Kunststoff (Polypropylen)
Fundort: Eisenbahnstraße, Neustadt-Neuschönefeld, Leipzig
gefunden am 18 April 2012

Nach einem nachmittäglichen Treffen in der Neustadt, überlegte ich welche Besorgungen ich noch machen musste und beschloss kurzerhand meinen kleinen Listenzettel in der Neustadt abzuarbeiten.


Ich brauchte Gemüse, Batterien und eine Strumpfhose, denn die meinige riss sich vor Kurzem an meinem Fahrrad kaputt. Ich besorgte Gemüse im Konsum, Batterien in einem der An- und Verkaufsgeschäften entlang der Eisenbahn-straße. Nun fehlte mir also nur noch die Strumpfhose. Mit meinem Fahrrad fuhr ich die Eisenbahnstraße runter und bemerkte einen asiatischen Textilladen auf der Ecke Hermann-Liebmann-Straße und bog ein. Ich schloss mein Fahrrad ab und ging hinein. Hinter der Verkaufsvitrine, lehnte eine kleine asiatische Frau mit schwarzem Haar.
Lächelnd bat sie mich doch zu schauen was sie im Laden hätte.
Ich nickte höfflich. Beim Vorbeigehen bemerkte ich einen kleinen Jungen, nicht älter als sechs Jahre, der auf den Stufen zu den hinteren Räumen sitze. Er beäugte mich aufmerksam. Ich lächelte ihn an und nickte wieder, er guckte mich prüfend an und nur zögernd huschte ihm ein kleines Lächeln übers Gesicht. Ich lief weiter, um nach Strumpfhosen oder leggingsähnlichem Nylon zu
schauen. Ich lief von einem Ende bis zum anderen Ende des Ladens. Ich staunte nicht schlecht, was es sonst noch alles in diesem Laden gab. Von Kerzen bis Bügeleisen, bis hin zu Plastikküchenschüsseln. Ich überlegte was ich sonst noch so brauchte und wieder nicht brauchte. Eine gute Weile stöberte ich zwischen den Sachen.
Jedoch bekam ich ein Gefühl der Beobachtung nicht los. Ich machte ein paar Schritte zur Seite, um zu sehen wo sich die asiatische Mama und der kleine Junge aufhielten. Die Mutter hörte ich mit jemandem im Hinterzimmer in einer fernöstlichen Sprache sprechen. Ich hörte dem Sprachgesang zu und meinte zu erkennen, dass es nicht Japanisch oder Chinesisch sei, dafür waren die Betonungen der Wörter zu kurz. Ich fühlte mich zurück erinnert, an die Zeit, als ich in Thailand ein Auslandspraktikum absolvierte.
Die Vielfalt der Kultur und der asiatischen Sprachen faszinierten mich und so kannte ich mich also ein wenig aus, in der asiatischen Kultur. Als mein Hals immer länger wurde, der über die Regale lugte, um nach den beiden Ausschau zu halten, hörte ich ein Kichern hinter mir, ich drehte mich um und da stand der kleine Junge vor mir und grinste mich über alle Backen an.
Er streckte seine Hand aus und gab mir eine knallrote Trillerpfeife mit der er wohl vor kurzem noch spielte. Ich nahm sie entgegen und verbeugte mich dankend und machte eine Geste, die ich in Thailand gelernt hatte. Er guckte mich verdutzt an und brach in schallendes Gelächter aus. Er rannte den Gang entlang in die Hinterräume und erzählte aufgeregt in seiner Muttersprache, was so eben geschehen war. Ich stand noch immer vor den Plastikschüsseln mit der roten Trillerpfeife in der Hand, peinlich berührt von meinem Versuch asiatische Gesten zu imitieren. Vor lauter Schreck griff ich die nächste Plastikschüssel und begab mich zur Kasse. Lächelnd trat seine Mutter aus den hinteren Räumlichkeiten und meinte: „So sie waren also in Asien?“. Ein langes interessantes Gespräch entstand. Sowohl über meine Erfahrungen in Thailand, als auch über ihren Vater, der in den 60er Jahren nach Leipzig kam, um als Vertragsarbeiter in Leipzig zu arbeiten. Die meisten Vietnamesen, deren Imbisse und Verkaufsstände das Terrain in diesem Teil Leipzigs prägen, waren einst als Vertragsarbeiter der DDR gekommen.
Sie arbeiteten meistens in Chemie-Fabriken, in der Automobilproduktion und in Wäschereien. Es war der Versuch der DDR-Regierung den Mangel an Arbeitskräften in bestimmten Branchen auszugleichen. 1980 schloss sie mit der Sozialistischen Republik Vietnam ein Abkommen über die „zeitweilige Beschäftigung und Qualifizierung vietnamesischer Werktätiger in Betrieben der DDR“. Ähnliche Verträge gab es mit anderen sozialistischen „Bruderländern“, wie etwa Angola, Kuba oder Mosambik. Zum Zeitpunkt der Wende lebten etwa 60 000 Vietnamesen in der DDR. Die größte Ausländergruppe nach den sowjetischen Truppen. Jene, die blieben, gründeten vielfach eigene kleine Geschäfte. Von Kleidung bis zu Allerlei anderen billig produzierten Massenwaren aus Asien werden angeboten. Die Kleinhändler kaufen die Importwaren palettenweise, um sie im eigenen Laden weiterzuverkaufen. Wir unterhielten uns lange und vergaß dabei fast meine Plastikschüssel zu bezahlen. Noch einmal nickte ich dem Jungen zu, dankend für die rote Trillerpfeife und trat meinen Heimweg an.

Autor und Fotos
Christine Fehr

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