Völkerschlacht 1813 / 1913 / 2013
Museumsticket
15,5 cm × 7 cm
Offsetdruck auf Papier
Fundort: Leipzig, Völkerschlachtdenkmal
Funddatum: 18.04.2013
Nationaldenkmal. Ruhmesmal des deutschen Volkes. Ehrendenkmal für die Gefallenen. Friedensdenkmal. Begegnungsort. Gedenkstätte. Mahnmal. Oder eher Spaßbude? Touristischer Anziehungspunkt. Leipziger Wahrzeichen. Ein kolossaler Tempel. Das Völki. Das Schönste der Welt.Das Völkerschlachtdenkmal.
91 Meter hoch erstreckt sich vor mir das monumentale Bauwerk. Ich blicke hinauf. Direkt über meinem Kopf befindet sich die Schwertspitze des Erzengels Michael, dem Schutzpatron der deutschen Soldaten. Über ihm thront der Schriftzug: »Gott mit uns«. Daneben die Darstellung des Schlachtfeldes: Gefallene Krieger, kaputte Wagen und sterbende Pferde. Chaos. Tod. Eine Darstellung des schrecklichen Ereignisses, das sich vor 200 Jahren genau an diesem Ort zugetragen hat. Eine der größten und blutigsten Schlachten Europas. 90 000 Tote. Die Gesichter der steinernen Figuren, die am Völkerschlachtdenkmal Totenwache halten, blicken starr an mir vorbei. Furchtlos, tapfer, wachsam.
Angesichts des kolossalen Baus fühle ich mich auf einmal ganz klein. Alles wirkt kalt und traurig, fast bedrohlich. Die Geschlossenheit, die vom Völkerschlachtdenkmal ausgeht, jagt mir zugleich Angst wie auch Ehrfurcht ein. An dem großen Barbarossakopf vorbei, steige ich die Treppe hinauf, um zum Eingang zu gelangen. Mein Blick fällt auf die Eintrittskarte in meinen Händen. Ich stutze. »Das Schönste der Welt« steht in großen Buchstaben auf der Karte. Ich schaue noch mal genauer hin. Tatsächlich ist neben Eifelturm, Freiheitstatue und Big Ben ein überdimensionales Völkerschlachtdenkmal gedruckt. »Das Schönste der Welt«, murmele ich. Ich glaube, das wäre der letzte Satz gewesen, der mir beim Anblick dieses wuchtigen Turmes in den Sinn gekommen wäre. Bedeutungsvoll – ja. Geschichtsträchtig – auch. Aber schön?
Während ich noch so in Gedanken versunken auf das Museumsticket starre, spüre ich von hinten einen leichten Stoß. Der Wachmann am Eingang blickt ungeduldig. Hinter mir stehen noch weitere fünf Leute, die auf den Riss in ihrer Eintrittskarte warten. Schnell gebe ich ihm mein Ticket und verschwinde im dunklen Innenraum.
Hoch oben auf der Plattform nehme ich die Gedanken von vorhin wieder auf. Die kontroverse Debatte, die besonders jetzt zum »Jubiläum« in Leipzig um das Völkerschlachtdenkmal und seine Bedeutung und Nutzung geführt wird, wirft auch bei mir viele Fragen auf. Wie sehen wir uns? Und wie wollen wir gesehen werden? Und in welchem Licht sehen und gedenken wir den Ereignissen vor 200 Jahren? Wie positionieren wir uns zu dem 100 Jahre später errichteten Denkmal, »das für die einen das Sinnbild des Nationalismus ist, für die anderen ein touristisches Ausflugsziel mit Spaßfaktor?« (Thalheim, David)
Schon seit längerer Zeit ist versucht worden, das Völkerschlachtdenkmal zum Friedensdenkmal umzudeuten. Doch vielen scheint dieser Versuch absurd, da das Völkerschlachtdenkmal als Nationaldenkmal errichtet wurde und von seiner ganzen Geschichte und Symbolik kein Friedensdenkmal ist. Was es sein kann, so erhoffen sich viele, ist ein Ort der Begegnung und des Gedenkens. Ein Ort, der einlädt zum Erinnern und reflektieren.
Aber auch hier stellt sich wieder die Frage, wie solch ein Gedenken aussehen kann, insbesondere zu einem solch wichtigen Ereignis wie dem Doppeljubiläum im Oktober. »Jubiläum« – ist dieser Begriff überhaupt passend für diesen Anlass? Jubeln? Worüber?
Juliane Nagel, und mit ihr viele Andere, sind der Meinung, »das Doppeljubiläum kann nur still und nachdenklich begangen werden, ohne lärmende Kriegstümelei und Nationalkult.«
Ja, warum feiern wir ein europäisches Friedensfest mit nachgestellten Schlachtszenen? Viele können das nicht richtig nachvollziehen. Für Andere jedoch braucht es die Schlachtnachstellungen, um die Ereignisse um 1813 verstehen zu können und die Grauen des Krieges lebendig werden zu lassen. Immerhin zieht dieses Spektakel viele Leute aus der ganzen Welt an.
Worüber sich anscheinend alle einig sind, ist, dass das Ziel der Gedenkwoche sein sollte, den Blick nicht nur nach hinten zu richten, sondern nach vorne, auf ein gemeinsames Europa. Aus Leipzig, dem Ort der friedlichen Revolution, soll eine friedliche Botschaft für ein einheitliches Europa gesendet werden. Doch erreicht man dieses Ziel wirklich, indem man sich groß auf die Fahne schreibt: Wir haben das schönste Denkmal von allen?
Literatur- und Quellenverzeichnis
http://www.stadtgeschichtliches-museum-leipzig.de/site_deutsch/voelkerschlachtdenkmal/
http://www.hgb-leipzig.de/kunstorte/vsd_einfuehrung.html
http://www.leipzig1813.com/index.php?id=76
http://www.voelkerschlacht-jubilaeum.de/
Autor
Carina Bendel
Fotos
Carina Bendel