Steinschleuder

Ratzel-Steinschleuder-Blog

Völkerschlacht 1813 / 1913 / 2013

Steinschleuder 

90 × 160 × 20
Holz, Gummi
Fundort: Leipzig, Völkerschlachtdenkmal
Funddatum: 28. April 2013

Die Steinschleuder – auch bekannt unter Zwille, Zwuschel, Flitsche, Fletsche, Zwistel, Zwiesel, Schlatte, Kartzi, Katschi, Spatzenschießer, Zwockel, Gambel oder Katapult. Was ist dieses in Vergessenheit geratene Objekt: Kampf-, Spiel- oder Sportgerät?

Wie bin ich in nun in den Besitz dieser Steinschleuder gekommen? Aus der Ferne habe ich das sich über die Stadt in die Höhe ragende Völkerschlachtdenkmal schon oft erspäht. Aber erst in diesem Frühjahr nutzte ich einen der ersten warmen Tage, um mich näher mit dem Wahrzeichen Leipzigs zu beschäftigen. Mit dieser Idee, das Denkmal auch ­von Innen zu besichtigen, war ich nicht allein. Die Busse hatten Touristen aus aller Welt bereits abgeladen, die sich nun in Massen innerhalb der engen Treppenaufgänge abmühten.
Wieder unten angelangt wollte ich mich im Schatten der Bäume vor dem Sightseeing-Wahn erholen. Aber schon nach kurzer Zeit erlangte ein kleiner Junge meine Aufmerksamkeit. Er kauerte nicht weit von mir, fest an den erdigen Boden gedrückt, hinter einem Busch. Hinter den roten Haaren blickten seine Augen angestrengt auf die Menschengrüppchen vor dem Museum. Mit der rechten Hand umklammerte er fest einen Gegenstand, während er mit dem linken Arm plötzliche Bewegungen machte. Ebenso fiel mir auf, dass sich einzelne Personen vor dem Museum immer wieder irritiert in unsere Richtung drehten. Neugierig geworden, näherte ich mich ein paar Schritte und da sah ich sie, die Steinschleuder und auch die Zielobjekte. Wartende Touristen vor dem Museum wurden zum Opfer, und bei den Geschützen handelte es sich glücklicherweise nicht um Steine, sondern um kleine Papierkügelchen. Während ich dieses Geschehen gespannt beobachtete, erschallte ein lautes Brüllen: » Theo!«, und instinktiv rettete ich mich hinter den nächsten Baum. Der Vater, der wahrscheinlich auch gerade Zeuge geworden war, stürmte wutschnaubend auf den Jungen zu, riss ihn am Arm hoch und zerrte ihn hinter sich mit. Ein wenig konfus verließ ich mein Versteck und entdeckte die Steinschleuder. Das Spielgerät lag nun verweist zwischen den Papierkügelchen. Ohne weiter darüber nachzudenken, steckte ich mir das Beweisstück in die Tasche und verlies schmunzelnd das monumentale Denkmal.

Das Völkerschlachtdenkmal wird nicht nur von vielen Sonntagsausflüglern, wie Theos Familie, besucht, sondern ist auch Ziel zahlreicher Touristen und Schulklassen. 2012 zog das Denkmal etwa 300 000 Besucher an. Das Völkerschlachtdenkmal zu Leipzig wurde über die Zeit zu einem heterogenen und viel diskutierten Ort. Auf der einen Seite ist es ein Gedenkort an die Opfer der Völkerschlacht auf der anderen Seite ein populärer Treffpunkt. Jedes Jahr stellen Anhänger die Völkerschlacht und die Konventionen dieser Zeit in altertümlichen Uniformen nach. Ihr Anliegen ist es, Geschichte erlebbar zu machen. Die Vorwürfe an dieses stark umstrittene Ereignis liegen darin verankert, dass es die Grauen des Krieges verharmlose und verniedliche.
Ähnliche Argumente liegen gegen andere Events wie das alljährliche Badewannenrennen, Bierfeste, LVZ Fahrradfeste, Oldtimerausstellungen oder diverse Konzerte wie »Courage zeigen«, das frühere »Rock gegen Rechts«, die auf dem Gelände des Völkerschlachtdenkmals stattfinden, vor. Auch im Alltag wird das »Völki« immer frequentierter als abendlicher Treffpunkt für Leipziger Jugendliche eingebunden. Argumente dagegen sind z. B. der Schutz des Denkmalbaus. Die Gegner empfinden es als geschmacklos, diese Ereignisse an einem Gedenkort, der an mehr als 90.000 umgekommene Soldaten erinnert, zu veranstalten.
Die Funktion des Denkmals als Gedenkort oder die eines Anlaufs- und Identifikationspunkts für die Leipziger Bevölkerung bleibt umstritten. Es kursieren sogar Forderungen nach dem Völkerschlachtdenkmal als politikfreie Zone. Diese Diskrepanz wird im Hinblick auf die Organisation der Feierlichkeiten im Jubiläumsjahr 2013 ersichtlich: Sprach man erst von einer »Festwoche«, wurde diese mittlerweile in »Gedenkwoche« umbenannt.

Literatur- und Quellenverzeichnis
Podiumsdiskussion: Der Umgang mit 200 Jahren Völkerschlacht
Schlachtdarstellungen
Völkerschlachtdenkmal
Jubiläumsfeier
Steinschleuder

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Autorin
Ann-Jasmin Ratzel

Völkerschlacht 1813 / 1913 / 2013