Klappmesser mit Horngriff

Artefakte modernerArchäologie

Klappmesser mit Horngriff
158 x 29 x 18 mm
Klinge aus Inox-Stahl, Horngriff
Fundort:
Strada Provinciale Stia-Londa, Italien
gefunden am 33. Juli 2007

Ein Klappmesser mit Horngriff. Unzählige Schleifspuren, abgegriffen und verschmutzt. Auf was die Spuren wohl verweisen? Ein Gegenstand mit Tradition oder Alltagsgegenstand? Gebraucht, verloren und hier zu einem besonderen Fundstück erhoben.

Wir fuhren diesen Weg durch die Toskana das erste Mal. Die Straßen wunden sich wie Adern um die Berge, dementsprechend kurvig war es. Auch wenn gegen die Übelkeit auf den hinteren Plätzen angekämpft wurde, ein Stopp musste früher oder später gemacht werden. Nachdem wir uns auch noch verfuhren, hielten wir oberhalb eines Berges an. Die Sonne stand auf ihrem höchsten Punkt und während die anderen nach Luft schnappten und mit dem Navigationssystem kämpften, lief ich ein wenig durch den angrenzenden Olivenhain und schaute über die unzähligen kleinen italienischen Dörfchen, die sich über die Höhen zogen.

Ein Stück weit von mir entfernt, auf einem kleinen Rasenstück, reflektierte etwas stark die Mittagssonne. Ich überlegte kurz, dann riss es mich wie eine Elster zu dem leuchtenden Gegenstand. Es musste wohl schon ein ganze Weile dort gelegen haben, so heiß wie es von der Sonne aufgeladen war. Ich zog mir mein Shirt über die Hand und hob es auf. Ein Klappmesser mit Horngriff. Leicht verschmutzt. Die Klinge weist unzählige Schleifspuren auf. Der Griff schon abgegriffen.

Detailansicht GravierungDieses Messer hat Tradition. Ein Klapptaschenmesser vom Typ „Zuava“, mit einer robusten und rostfreien Klinge, die zusätzlich verstärkt und dadurch für Arbeiten aller Art geeignet ist. Auch zum Häuten. Der Griff aus Rinder- oder Ochsenhorn besteht aus zwei Platten, die mit Nieten an den unteren Plättchen und an der Feder befestigt sind. Seit dem 19. Jahrhundert wird es in der ganzen Toskana und anderen Regionen verwendet. Es ist ein Messer aus der traditionellen Produktion des Ortes Scarperia, der knapp 40 Kilometer von dem Fundort entfernt liegt.

Wie lang es wohl schon dort gelegen hat? Absichtlich liegen gelassen, vergessen oder einfach verloren?

Die Verwandtschaft hatte sich entschieden, man wolle den Weg fortsetzten. Das Interesse an dem Messer war noch zu groß um es zurück zu lassen, also steckte ich es ein.

Welche Geschichte dieses Messer wohl hat? Ein Gebrauchsmesser der toskanischen Landbevölkerung. Vielleicht benutzt um sich ein paar Oliven vom Baum zu schneiden, um sie zu probieren und sie auf ihre Qualität zu testen.

Da mir diese Lebensart als Stadtkind fremd ist, baut sich ein idealisiertes Bild, Motiv kitschiger Postkarten, in mir auf. Doch ist nicht eher das Gegenteil der Fall? Den ganzen Tag auf einem Feld oder Hain, das einzige Thema: das angebaute Produkt. Bäuerliche Qualität oder Konzernnahrung,Wettbewerbsdruck, Produktivitätssteigerung, Regionalität gegen Industrieimport, Berufskrankheiten durch die körperliche Arbeit und den Kontakt mit Pestiziden und jährlich müssen mehr und mehr Agrarunternehmen Insolvenz anmelden.

Die gleichen existenziellen Fragen: Was bringt Geld? Was bringt Sicherheit? Was hat Zukunft?

Gleiche Probleme in einem anderen Kontext, in einem anderen Alltag. So auch das Messer, für sie vermutlich ein Alltagsgegenstand, täglich gebraucht. Hier ein besonderes Fundstück.

Fundort des Klappmessers mit Horngriff auf einer größeren Karte anzeigen

Quellen

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Autor
Alexandra Demming

Fotos
Alexandra Demming