Spiegelkugel

Artefakte moderner Archäologie

Spiegelkugel
40 mm Durchmesser
Schaumkunststoff, Metallspiegel
Fundort: Berlin
gefunden am 21. August 2007

Eine Spiegelkugel beziehungsweise Diskokugel ist in fast jeder stereotypischen Diskothek aufzufinden. Es handelt sich um eine mit kleinen Spiegeln besetzte, sich an der Decke drehende Schaumkunststoffkugel, die in einem wenig beleuchteten Raum einen Lichtstrahl in Form von zahlreichen kleinen, langsam kreisenden Lichtpunkten reflektiert.

Ich fand sie auf einem Flohmarkt in Berlin. Es war noch früh am Morgen, der Trödel- und Antiquitätenhandel war noch nicht im Gang. Es wurde aufgebaut, kaum Besucher waren zu sehen.

Ein Partyausflug nach Berlin/ Prenzlauerberg.
Anvisiert ein Club Namens Icon, um den im Musikgenre „Drum and Bass“ bekannten Musiker/ DJ Netsky zu erleben.

Icon – Cantianstraße 15, 10437 Berlin

Nach erfolgreich durchtanzter Nachtschicht in eben dieser Lokation, schlenderten wir bei Sonnenaufgang durch die Straßen des Berliner Stadtteils, auf dem Weg zum Bahnhof, um zurück nach Leipzig zu gelangen.
Entkräftet wegen exzessiver Bewegung und Übernächtigung, jedoch angeheitert und aufgedreht steuerten wir geradewegs, allerdings dennoch zufällig auf einen wöchentlichen Sonntagsflohmarkt zu, der sich zur frühen Stunde noch im Aufbau befand.
Wir zogen an etlichen Second Handwaren und Antiquitäten vorbei, bis mir auf diesem riesigen unüberschaubaren Areal eine zu den anderen gegensätzliche Auslage wortwörtlich ins Auge stach.
Ein auf dem Boden liegender Teppich, überfüllt mit knallbunten Kleingegenständen, geläufig auch als
Kitschoder Ramsch bezeichnet, dahinter ein Händler asiatischer Abstammung, der mehr und mehr ‚Ramsch‘ aus seiner Kiste holte, um den Vorleger noch ein wenig zu überschütten. Mich blitzten sofort die kleinen Spiegelkugeln an, die in allen Farbvariationen in der frühen Morgensonne schimmerten und klitzernd leuchteten.
Von meinen Freunden und mir belächelt war mir dennoch klar, dass dies das perfekte Erinnerungsstück für diesen unvergesslichen und lang ersehnten, (ent)spannenden Ausflug sein musste.

Bereits in einigen Filmen der zwanziger Jahre des 20.Jahrhunderts ist sie zu entdecken. Beispielsweise im deutsch experimentellen Dokumentarfilm „Berlin – Die Sinfonie einer Großstadt“ von Walther Ruttmann, in dem unter anderem sie – im Kontrast zum idyllischen Landleben – die Schnelllebigkeit, Arbeits- und Lebensverhältnisse, Vergnügsmöglichkeiten, den hektischen Alltag der industriell aufstrebenden Stadt symbolisiert.

Im letzten von sieben Akten ist sie zu sehen.


Berlin – „Sinfonie einer Großstadt“

Ebenfalls im Berlin der Zwanziger wurden die ersten Spiegelkugeln in einigen Tanzpalästen installiert. Ob diese Tanzveranstaltungen damals wohl als subkulturell, vielleicht sogar als provokant und konträr den für uns heute teilweise spießig und steif anmutenden Tanzfesten galten? Oder ob sie schlicht und einfach der Zusammenkunft populärerer Gesellschaften dienten?

Die Diskokugel als Sinnbild für Popkultur. Der Symbolik nach nicht zu vereinbaren mit Undergroundszenen, eher ein ironisches Gegenstück dazu? Ich stelle trotzdem fest, dass auch in kleinen Läden, in denen jene Musik im kleinen Rahmen gespielt und gefeiert wird, die Diskokugel nicht fehlt, wenn auch dezent, nicht überdimensional. Man muss sich doch fragen, wo die Schnittstelle zwischen Subkultur und Mainstream liegt, ob es überhaupt möglich ist eine fest zu machen! Von wem geht der kommerzielle Wandel aus? Die Mischung unendlicher Musikgenre, welche sich ständig wieder erweitern, machen es schwer einen klaren Strich zu ziehen. Ab wann wird Subkultur zu einem Teil der Popkultur? Die Musik, letztendlich schlicht von einer breiten Masse gehört oder direkt für die breite Masse gemacht?

Auch Netsky, der in der Szene bekannte Musiker aus Belgien, veröffentlichte ein „Official Video“.
Die Storyline des Clips ist sicher Geschmackssache, doch die Qualität, um es im TV ausstrahlen zu können ist durchaus gewährleistet. Somit gehören auch aufwendig- kostenintensiv- und qualitativ hochwertig produzierte teilweise standartisierte Musikviedeos mit Werbecharakter zu jedem Musikgenre dazu. Überall werden sie konsumiert und genutzt. Doch warum? Warum an einen Fernsehsender wenden und mit der eigenen Person werben, obwohl man feststellen muss, dass es gerade die Musiker sind, die ihre Konzertkarten teurer verkaufen als so mancher Popgigante.

Ist es der Wunsch endlich von seiner Musik leben zu können?


Netsky Albumcover „Iron Heart“

Quellen:

Youtube – 7. Akt „Berlin – Sinfonie einer Großstadt“

Youtube – Netsky – „Iron Heart“

Wikipedia Spiegelkugel

Website Icon Berlin

Fotos:

Abbildung 1, Markov, Anne-Marie
Abbildung 2, Youtube/ Screenshots: „Berlin – Sinfonie einer Großstadt“ (7/7)
Abbildung 3, Icon Berlin/ gallery
Abbildung 4, Netsky/ Albumcover

Spiegelkugel, Objektbeschreibung

Autor:

Markov, Anne-Marie