Die Akte Johanna

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Völkerschlacht 1813 / 1913 / 2013

64 × 43 × 2 mm
Papier, Tusche
Fundort: Trödelmarkt, Leipzig
Funddatum: 11.05.2013

Einen Kriminalfall der besonderen Art gilt es zu entschlüsseln, wurden doch Überreste eines lange verschollenen Briefes gefunden. Friedrich, vermutlich gut situierter Stadtbürger, schreibt in schweren Stunden seiner geliebten Johanna einen letzten Brief …

Das dargestellte Objekt ist Teil eines fragmentarisch überlieferten Briefes, welcher potenziell inmitten der Völkerschlacht geschrieben wurde.  Anbei die rekonstruierte und aus Alt-Kurrent1 übertragene Fassung, nicht gesicherte Stellen sind mit [ ] ausgewiesen.

[Liebste] Johanna,

In der heutigen Nacht liegt mein Herz schwer und pochend  in der Brust, umtrieben von Sorge ob des Wohlergehens von dir und den Kindern. Nachdem mich blinder Ide[ali]smus und das Streben nach Freiheit in der Stadt und von eurer Flucht abgehalten hat, bin ich nach Tagen voll stumpfer Gewalt und blutgetränkter Straßen an einem Punkt angelangt, wo auch ich mir eingestehen muss: Ich habe mich geirrt. Und das zutiefst.  In dieser Schlacht gibt es nichts zu holen außer dem Tod. Der Mensch wird zum Mo[nster] und auch ich stehe dem schu[tzlo]s gegenüber.

Von daher werde auch ich des morgens[ fliehen], auf dass mich der Wind der [Hoffenden] in deine, mich liebenden, Arme tragen [möge].

[So ha]rre ich nun hier in unserer Kammer und erwarte den nahenden Morgen, während der durch die Nacht zuckende Hall der Kanonenkugeln minütlich näher kommt und mein Herz zum Beben bringt.

Ich habe An[gst].

In Liebe, dein Friedrich                                                       Mö[ckern], den 18. Oktober 1813

Wie unschwer herauszulesen ist, hat Friedrichs Frau Johanna die Stadt Leipzig, aufgrund der heraufziehenden Bedrohung, Tage vor Beginn der Kampfhandlungen mitsamt den Kindern verlassen. Er aber ist aufgrund falscher Ideale, dem Streben nach Freiheit und dem potenziellen Ruhm der Schlacht geblieben. Er sieht es womöglich als Chance seinen Teil zur Geschichte beizutragen. Nach den ersten Tagen und Kampfhandlungen verlässt ihn jedoch der Mut und die Sinnlosigkeit des Ganzen durchbricht die Tür der Erkenntnis.

Wir können heute nur mutmaßen, jedoch birgt das Textbild den Anschein als wäre es nicht der erste Brief den Friedrich seiner Johanna schreibt. Alles deutet jedoch darauf hin, dass es zumindest der letzte Brief gewesen ist, naheliegende Indizien dafür wären die angekündigte Flucht sowie das heutige Wissen der am darauf folgenden Tag endenden Schlacht. Was danach geschah, bleibt offen: Weder wissen wir etwas über Friedrichs Verbleib, noch ob der Brief es jemals zu seiner Johanna geschafft hat.

Interessant bei weiterführender Betrachtung ist auch der Fundzusammenhang, wurden die Teile des Briefes doch weder in einem Museum noch in einem Antiquariat gefunden – sondern schlicht auf einem Flohmarkt, im Besitz eines älteren Pärchens um die 60. Die Einzelteile waren, für unprofessionelle Verhältnisse, nicht nur gut verwahrt, sondern wurden auch gut verkauft.

So wusste das ältere Pärchen folgende Anekdote zu erzählen: Anfang der 90er Jahre haben die selbst ernannten Profitrödler die Überreste des Briefes in einem alten Sekretär gefunden, einem schreibtischähnlichen Möbelstück, welches sich im 18. / 19. Jahrhundert großer Beliebtheit erfreute.  Das könnte zwar erklären, wieso der Brief erst knapp 180 Jahre später entdeckt wurde, ein fader Beigeschmack und unbeantwortete Fragen nach Authentizität und wissenschaftlichen Belegen bleiben dennoch.

Ob nun echt oder nicht ist dann aber letztlich auch gar nicht so wichtig, zeigt die Geschichte Friedrichs und seiner Johanna doch andere, wichtige Aspekte der Geschichtswissenschaft auf: Geschichte ist eben nicht nur die Geschichte „großer Männer“ wie Cäsar, Napoleon und Bismarck – sondern vor allem auch die des kleinen Mannes und der kleinen Frau unter Ihnen. Ohne diese wäre es oftmals nicht nur nicht zu besagten „großen Männern“ gekommen, auch sind Briefe wie dieser mitunter der einzige Anhaltspunkt, den die Geschichtswissenschaft bis heute hat. Zu guter Letzt geht es um Liebe.

Und an die erinnern wir uns doch alle gern.

Literatur und Quellenverzeichnis
1 http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Kurrentschrift

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Autor
Christian Schramm

Völkerschlacht 1813 / 1913 / 2013