Ein Stück Chronik

Fundstücke 1000 Jahre Leipzig

Ein Stück Chronik
62 x 59 mm
Kalbspergament
Am Gänseranger 24, Leipzig
12. März 2015

Ein Stück Pergament gefunden – Welches sich als fehlende Ecke am oberen Rand der Dresdner Handschriften Chronik herausstellte. In jener Chronikseite wird Leipzig zum wiederholten Male als urbe libzi namentlich erwähnt. Eine Neuentdeckung!

Bei meinem Fundstück handelt es sich um ein Stück Leipziger Geschichte – gefunden und eingebettet in einem Einband Pariser Geschichten, einem alten Buch welches aus der kleinen Hausbibliothek meiner Großmutter stammt. Meine Großmutter selbst war Buchbinderin und erhielt die »Pariser Geschichten 1951« von ihrem damaligen Lehrmeister Wilhelm Bube, in der Leipziger Großbuchbinderei. Dieser hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, seinen Lehrlingen bei Ablegung der Gesellenarbeit ein Buch zu schenken. So erhielt meine Großmutter das Buch.

Maupassant, Pariser GeschichtenUnd es war genau dieses Buch des französischen Schriftstellers Henry René Albert Guy de Maupassant mit dem Titel »Pariser Geschichten« was mir in die Hände fiel und welches in seinem Einband ein kleines Stück altes Pergament barg. Zunächst konnte ich die kleine Ecke aus altem Kalbspergament welche aus dem Buch herausragte nicht einordnen und mutmaßte, dass es meiner Großmutter lediglich als Lesezeichen diente.

Verwendung LesezeichenDurch den auffällig alten Zustand des Gegenstandes, begab ich mich auf eine kleine Forschungsreise.

Dabei konsultierte ich neben meiner Großmutter weitere Buchbinder zur Bestimmung der Pergamentart und Restauratoren zur Schätzung der Entstehungszeit. Letztendlich traf ich auf den Stadthistoriker R. Müller, welcher sich insbesondere mit der Stadtgeschichte Leipzigs befasst. Durch die gemeinsame historische Recherche stieß ich auf die Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg, in welcher die Stadt Leipzig namentlich mit den lateinischen Worten »urbe libzi« erwähnt wurde.

Die Chronik wurde in den Jahren 1012 bis 1015 von acht Schreibern verfasst und mit Korrekturen sowie Ergänzungen des Bischofs Thietmar versehen wurde.
Von 1091 bis 1570 befand sich der Codex der Chronik im Kloster St. Peter und wurde 1570 nach Dresden umgelagert. Dies als Randbemerkung zur Namensgebung, Dresdner Handschrift.

 

Das Chronikblatt 89 a. mit der Erwähnung Leipzigs durch die Worte, dicunt urbe libzi.

 

Auf der 89. Chronikseite der Dresdner Handschrift wird die Stadt Leipzig mit den lateinischen Worten »dicunt urbe libzi« ein weiteres Male namentlich erwähnt. Die deutsche Übersetzung lautet: »sie nennen die Stadt Leipzig«.

Zudem ist auffällig, dass genau dem 89. Chronikblatt Ränder fehlen. Die in den »Pariser Geschichten« vorgefundene Ecke passt exakt zu dem fehlenden Stück der oberen linken Ecke des Chronikblattes. Das Material und geschätzte Alter des Stückes, sowie die passgenaue Form lassen kaum Zweifel zu. Auch Historiker Müller bestätigte mir, dass die Ecke zur Chronikseite Nummer 89. gehöre.

Doch wie kommt die Ecke in Großmutters Buch? Was möchte uns die Geschichte damit erzählen? Legte Lehrmeister Bube diesen Pfad oder ist es doch nur reiner Zufall?

Der Weg des Chronik-Stückes zum Buch von Maupassant bleibt offen. Ich möchte an dieser Stelle eine mögliche Theorie vorstelle:

In der Bibliotheca Albertina Leipzig wird derzeit eine Abbildung eines Schriftstückes der altsächsischen Literatur aus dem 9. Jahrhundert präsentiert. Auf der darunter stehenden Erklärung heißt es, das Pergamentblatt sei im 17. Jahrhundert als Bucheinband verwendet worden. Es kann daher vermutet werden, dass dies auch mit dem Chronikblatt 89. geschah. Der Verwendungszweck als Bucheinband ist eine Erklärungsmöglichkeit für den rätselhaften Fundort. Bei der Wiederabnahme des Chronikblattes könnte die Ecke hängen geblieben sein.

Von da an wanderte das Stück Chronik von Buch zu Buch und wurde somit zum Lesezeichen umdeklariert. Bis die Ecke letztendlich in dem Buch meiner Großmutter, den »Pariser Geschichten« von Maupassant landete und durch meine Recherche seinen Weg zum Ursprungsort, der Chronik wieder finden konnte.

Thietmar von Merseburg
Chronik des Thietmar von Merseburg

Lisa-Marie Pfefferkorn
https://limapfefferkorn.wordpress.com

Fundstücke 100 Jahre Leipzig