Kassette

Neustädter Fundstücke

Kassette

19,5 × 12 × 7 cm
Kunststoff
Fundort: Schulhof der Wilhelm-Wander-Schule
Gefunden am 17.04.2012

In einer aufregenden Rettungsaktion konnte die Kassette, als Zeugnis unglaublicher Geschichten vor den stampfenden Füßen, springenden Bällen und rollenden Fahrrädern der SchülerInnen auf dem Spielplatz hinter der Wilhelm-Wander-Schule geborgen werden.

Eine alte Kassette. Sidar Beritan kann er auf ihr lesen. Er schlägt nach- ein türkischer Sänger. Doch warum ist die Kassette zerstört? Wer hat sie zerbrochen und in all ihren Einzelteilen auf dem Schulhof liegen lassen? Wem gehört sie? War sie einmal der Besitz eines Schülers oder einer Schülerin mit türkischem Migrationshintergrund? Doch warum liegt das Eigentum nun unbeachtet auf dem Spielplatz? Sehr schnell formen sich die Fragen zu einem klaren Bild: Der kleine türkische Junge fiel den Verspottungen seiner Mitschüler zum Opfer, die ihn wahrscheinlich aufgrund seiner Herkunft, seiner Kultur oder gerade wegen seines Musikgeschmacks belächelten und erniedrigten. Er nimmt an, dass der Interessenkonflikt zu einer Auseinandersetzung führte, schlimmer noch, zu einer Schlägerei, wenn man den sichtbaren Schaden betrachtet. Entsprechend dem Klischee geht man davon aus, dass die Ausländer als Randgruppenerscheinung als die Verlierer aus dem Kampf gingen. Die Kluft zwischen Deutschen und MigrantInnen besteht also noch immer.
Er fand die Kassette an der Wilhelm-Wander-Schule Leipzig Neustadt. Bekannt ist das Viertel hinsichtlich seines hohen baulichen, wirtschaftlichen und sozialen Handlungsbedarfs, als auch aufgrund des hohen Ausländeranteils. Hier konzentrieren sich nach wie vor soziale Probleme. Mit 60% SchülerInnen mit Migrationshintergrund wird aber der deutsche Anteil an der Grundschule zur Minderheit.
Anlass, anzunehmen, dass ein ausländisches Kind nicht genug Verbündete finden wird, um sich gegen die Einheimischen zu währen, ist demnach nicht gegeben. Meine Befürchtungen werden nicht bestätigt.
Außerdem gilt die Wilhelm-Wander-Schule als Stützschule des Förderzentrums für Erziehungshilfe und ist daher bemüht, die Persönlichkeitsentwicklung der SchülerInnen zu fördern. Aktive Mitbestimmung und Förderung der Eigeninitiative bekommen einen besonderen Stellenwert, um das Schul- und Klassenklima positiv zu entwickeln. Es wird versucht individuelle Probleme, Verhaltensauffälligkeiten in der Schule und auf dem Schulhof durch verschiedene Projekte, wie Schülerpatenschaften, Konflikt- und Beratungsgespräche zu lösen bzw. zu unterbinden.
Seit Februar ist eine Schulsozialarbeiterin an der Grundschule tätig. Ihr Anliegen ist es, stärker mit den SchülerInnen in Kontakt zu treten, Eltern und Kinder bei Problemen zu beraten und über die Streitschlichterausbildung längerfristig das Schulklima zu verbessern. Voraussetzungen für einen friedlicheren Umgang miteinander sind folglich geschaffen.
Vielleicht zeugt die Kassette also weniger von einem interkulturellen Konflikt, als vielmehr von den Verschleißerscheinungen der Jahre oder einem in Vergessenheit geratenem Idol.

Quellen
Schulsozialarbeit im Planungsraum „Innerer Osten“

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Autor
Theresa, Lehnert

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