Globale und lokale Perspektiven
Leitung:
Prof. Dr. Claudia Hattendorff (Justus-Liebig-Universität Gießen)
Prof. Dr. Ansgar Schnurr (Justus-Liebig-Universität Gießen)
In der kunstunterrichtlichen Praxis werden ältere und neuere Werke der Kunstgeschichte nicht selten isoliert betrachtet und illustrativ auf die Person der Künstlerin bzw. des Künstlers und auf gesellschaftliche und politische Gegebenheiten ihrer unmittelbaren Entstehungszeit und Herkunftsregion bezogen. Dies führt zu einer Sichtweise, die komplexe Umstände ihrer Herstellung und ihres Gebrauchs nicht zur Sprache bringt: weitverflochtene historische Entwicklungsdynamiken etwa, aber auch globale Prozesse der Wanderung, des Handels und der grenzüberschreitenden Diskursbeziehungen. Aus dem Blick geraten damit machtvolle Dimensionen wie der Kolonialismus, die vielfach die Entstehung und den Einsatz von künstlerisch gestalteten Artefakten ebenso wie ihre Rezeption bis heute bestimmen. Im durchaus schwierigen Einbezug globaler und transkultureller Aspekte liegen erhebliche Herausforderungen, jedoch auch gewichtige Ziele der Kunstpädagogik: Es gilt einen Kulturbegriff zum Tragen zu bringen, der die nur scheinbar eindeutigen Kategorien des Vertrauten und Fremden fraglich und die globalen Verflechtungen kultureller Entwicklungen erfahrbar werden lässt. Gerade auch in der Auseinandersetzung mit künstlerisch gestalteten Artefakten, die durch Zeitstellung, geographische Herkunft oder kulturellen Anspruch Differenzerfahrungen vermitteln, kann eine transkulturelle Kunstpädagogik zu einem wichtigen Übungsfeld werden, um auf eine mündige Teilhabe in der zunehmend global strukturierten Kultur und Gesellschaft vorzubereiten.
Die Sektion IX soll exemplarisch entlang historischer und aktueller Kunst sowie künstlerisch gestalteter Artefakte und mit Blick auf museale wie schulische Formate darstellen, inwiefern globale und transkulturelle Perspektiven in die Vermittlung einbezogen werden können. Zugleich sollen handlungspraktische Perspektiven, Methoden und Settings der Vermittlung in der kunstpädagogischen Praxis gesucht und in Teilen aufgezeigt werden, um mit der wachsenden Komplexität sinnvoll und erfahrungsreich umgehen zu können.
Wie in Leipzig wird es auch in München vier Panels geben, die in mittelgroßen Gruppen arbeiten werden. In der Sektionsarbeit sollen entlang wichtiger und unterrichtsrelevanter Beispiele der Kunstgeschichte dargestellt werden, was einen transkulturell orientierte Vermittlung kunsthistorischer Bildbestände im Unterricht grundlegend bedeuten kann, wie sich dies in ausgewählten Praxisbeispielen bereits zeigt und wie der sich hier entfaltende Anspruch in der eigenen kunstpädagogischen Praxis aufgreifen und integrieren lassen kann. In Leipzig setzten die vier Panels einen je anderen inhaltlichen Schwerpunkt und bauten aufeinander auf, indem sie von der Grundlagenarbeit hin zu pädagogischen Konzeptionen führten. In München werden die zuvor entwickelten Grundlagen der Transkulturalität aufgegriffen und mit ethnologischen und feministischen Perspektiven ergänzt und der Schwerpunkt weiter auf die schulische Unterrichtspraxis sowie auf die bisherigen Praxiserfahrungen gelegt.
Die Panels des Kongressteils in München:
Panel 1: Inter- und transkulturelle Objekt-Perspektiven
Dr. Anette Rein (Bundesverband freiberuflicher Ethnolog_innen e. V.)
Mindestens vier Begriffe (Multikulturalität, Interkulturalität, Transkulturalität, Hyperkulturalität) versuchen Aspekte des Verschiedenseins und des Gemeinsamen alltäglicher Lebenswelten zu fassen. Im Workshop werden Konzepte zu den Begriffen Inter- und Transkulturalität näher beleuchtet und diskutiert. Praktische Übungen in Kleingruppen anhand von alltäglichen Dingen sensibilisieren für unterschiedliche Perspektiven, die das Konzept von „Kultur als Prozess“ markieren.
Panel 2: Transkulturelle Beziehungen, globale Biographien – islamische Kunst? Nahöstliche Artefakte in Museum und Schule
PD Dr. Vera Beyer (AR, Bergische Universität Wuppertal)
Die historische und zugleich globale Perspektive der Transkulturalität wird im zweiten Panel entwickelt. Anhand von Objekten der islamischen Kunst und ihrer transkulturellen Verflechtungen bis in aktuelle Bild- und Lebenswelten hinein wird Frau PD Dr. Vera Beyer in ihrem Impulsreferat unter Bezugnahme auf das Ausstellungsprojekt „Objects in Transfer“ (Museum für Islamische Kunst, Staatliche Museen zu Berlin) verschiedene Ebenen transkultureller Transferprozesse in der Vormoderne aufzeigen sowie die Frage der Vermittlung entfalten. In einem anschließenden Workshop werden anhand ausgewählter Materialien transkultruelle Phänomene und Methoden der kunstpädagogischen Vermittlung in Schulen erarbeitet.
Panel 3: Das Projekt museum global und die Frage nach den Künstlerinnen der Nigerianischen Moderne
Dr. Isabelle Malz (Kuratorin, Kunstsammlung des Landes NRW)
Die Referentinstellt zunächst das breit angelegte Projekt „museum global“ in der Kunstsammlung des Landes Nordrhein-Westfalen vor, das nach globalgeschichtlichen Perspektiven auf die Moderne und nach Möglichkeiten kritischer, global geöffneter Präsentation und Vermittlung in Sammlungen fragt. Hiervon ausgehend stellt sie als Beispiel außereuropäischer Zentren der modernen Kunstproduktion fernab des tradierten europäischen Kanons nigerianische Künstlerinnen vor, wodurch zusätzlich eine feministische Perspektive auf die Frage nach der kritischen Vermittlung von Kunstgeschichte eröffnet wird.
Panel 4: Kritische Kunstgeschichte vermitteln
Prof. Dr. Claudia Hattendorff und Prof. Dr. Ansgar Schnurr
Ein kritischer Blick auf die Geschichte der Kunst kann in der Schule nur gelingen, wenn der hergebrachte kunsthistorische Kanon problematisiert wird: indem wir ihn auf unterschiedlichen Ebenen hinterfragen und Alternativen zur kanonischen Wahrnehmung der Kunstgeschichte entwickeln.
Das vierte Panel will Ideen und Materialien für die Vermittlung einer solchen kritischen Kunstgeschichte in der Schule vorstellen, die in Teilen in universitären Lehrveranstaltungen mit Studierenden entwickelt wurden. In der Diskussion mit den Teilnehmern und Teilnehmerinnen des Panels sollen diese vor einem schulpraktischen Hintergrund diskutiert werden, und zwar im Hinblick auf konkrete Inhalte und auf geeignete Formate.
Mit einer Projektvorstellung von Katja Hoffmann, Magdalena Eckes und Nadia Bader: »KanonAlternativen“. Open Educational Resources als Weg der Vervielfältigung von Sichtweisen auf zeitgenössische und historische Kunst.
Archiv (Panels in Leipzig):
Panel 1: Transkulturalität und künstlerisch gestaltete Objekte der Vormoderne
Das erste Panel entfaltet die Perspektive der Transkulturalität. In einem ersten Schritt werden mittelalterliche und frühneuzeitliche Artefakte in ihrer globalen und historischen Entstehungs- und Wirkungsdynamik vorgestellt. In einem Impulsreferat wird Dr. Isabelle Dolezalek (Technische Universität Berlin und SFB 980 „Episteme in Bewegung“, Freie Universität Berlin) unter Bezugnahme auf das Ausstellungsprojekt „Objects in Transfer“ (Museum für Islamische Kunst, Staatliche Museen zu Berlin) verschiedene Ebenen transkultureller Transferprozesse in der Vormoderne aufzeigen. In einem anschließenden kurzen Workshop werden anhand ausgewählter Objekte und Texte transkulturelle Perspektiven in der aktuellen Kunstgeschichte diskutiert.
Panel 2: Migration und zeitgenössische Kunst
Im zweiten Panel soll am Beispiel zeitgenössischer Kunst die Inhaltsperspektive der Migration entwickelt und zugleich die transkulturelle Thematik in systematischer Weise vertieft werden. Das Impulsreferat hierzu hält Dr. Hanni Geiger (Fachbereich Design der Hochschule Fresenius, University of Applied Sciences – AMD München). In der anschließenden Workshopphase wird mit den Teilnehmern eine Anwendung postkolonialer Theorie auf konkrete Kunstobjekte im Hinblick auf die eigene und eine künftige Praxis erarbeitet.
Panel 3: Museum und Schule als transkulturelle Lernorte
Im dritten Panel steht die Institution Museum als Ort interkultureller Kommunikation im Zentrum. Anhand der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen (SES), zu denen das Museum für Völkerkunde zu Leipzig zählt, werden Praktiken des Ausstellens und Vermittelns von Artefakten nicht-europäischer Provenienz in westlichen Museum diskutiert. Das Impulsreferat hält die neue Leiterin der SES, Nanette Jacomijn Snoep (vormals Leiterin der historischen Abteilung des Musée du quai Branly in Paris). In einer daran anschließenden Diskussion- und Workshopphase werden Ansätze zur Vermittlung von Transkulturalität aus und in Museum und Schule verglichen und bewertet.
Panel 4: „Orientalismus“, „Japonismus“ und „Primitivismus“ in kritischer Perspektive
Beispiele französischer und deutscher Kunst des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts (etwa Werke von Ingres, Delacroix, Gérôme, Gauguin, Picasso, Kirchner), die den im Titel des Panels genannten Phänomenen zugeordnet werden, sollen in Kleingruppen unter Leitung von Prof. Dr. Claudia Hattendorff (Justus-Liebig-Universität Gießen) jenseits geläufiger Stilschubladen historisch kontextualisiert und mit neuerer kunsthistorischer Methodik postkolonialer und geschlechterkritischer Prägung bearbeitet werden. Ziel ist es, diese Werke für eine transkulturelle Betrachtung im Schulunterricht aufzuschließen, dabei die beteiligten LehrerInnen als ExpertInnen für Vermittlungspraxis einzubeziehen und zukünftige Perspektiven für den Schulunterricht zu entwickeln. Dieses Panels dient gleichzeitig als Kick-Off für Erprobungen im je eigenen Unterricht mit Hinblick auf den Kongress Part 2 in München.
Während des Kongresses in München sollen diese Aspekte aufgriffen und weiter auf die unterrichtliche Praxis hin erarbeitet werden. Insbesondere sollen erste Unterrichtserprobungen im Nachgang der Leipziger Tagung in München dargestellt und diskutiert werden.
Kontakt:
Claudia Hattendorff
Ansgar Schnurr