Fotografie

Neustädter Fundstücke

Fotografie

151 x 97 x 0,1 mm
Fotopapier
Fundort: Hedwigstraße 12
gefunden am: 20.04.2012

Diese Schwarzweißfotografie wurde möglicherweise während der späten 60er Jahre aufgenommen. Sie zeigt die „Alte Markthalle“ (Eisenbahnstraße 74), welche in der Neustadt Leipzig zu finden ist und heute als Einkaufszentrum „Aldi“ genutzt wird.


Momentaufnahme

Fotografien fangen Momente ein. Momente, die für eine längere Zeit in Erinnerung bleiben sollen. Wie viel Aussagekraft und Geschichte sich allerdings hinter einem einzigen Foto verbergen kann, war mir bis zum 20. April 2012 noch nicht in dem Maße bewusst.

An jenem Tag lief ich durch die Leipziger Neustadt. Gemütlich erkundigte ich die Gegend der Eisenbahnstraße und bog schließlich in die Hedwigstraße, um mir die Heilig-Kreuz-Kirche genauer ansehen zu können. Während meines Spazierganges hielt ich oft kurz an, um die verschiedenen Eindrücke der Häuser und Menschen auf mich wirken zu lassen. So auch in der Hedwigstraße. Besonders ein Umzugstransporter und scheinbar auch dazugehöriger blauer PKW, die vor der Hedwigstraße 12 parkten, fielen mir schon von der Ferne aus ins Auge. Der Transporter wurde von jungen Männern beladen, deren Arbeitskleidung darauf schließen ließ, dass sie zu einer Umzugfirma gehören mussten. Ein älterer Mann trat aus dem Haus und schleppte Kisten in den PKW. „Das wird wohl derjenige sein, der umzieht“, dachte ich bei mir. Der ältere Mann verabschiedete sich von den Umzugshelfern und sie fuhren weg. Plötzlich verließ auch eine ältere Frau das Haus. Bepackt mit einem Stapel von dicken Büchern, steuerte auch sie zu dem blauen Auto. Gewiss zu schwer bepackt, fielen ihr ein paar Zettel, die oben auf den Büchern auflagen, herunter. Der ältere Mann schritt zu ihr, um ihr die dicken Bücher abzunehmen und anschließend die Zettel aufzuheben.
Gemeinsam warfen sie einen letzten Blick auf das Haus und fuhren weg.

Neugierig begab ich mich direkt vor den Eingang des Hauses, vor dem sich eben Beobachtetes abgespielt hatte, als mir ein weißer Zettel auffiel, der auf dem Fußweg von der älteren Dame zurück geblieben sein musste. Ich hob ihn auf und bemerkte, dass es sich dabei nicht um einen Zettel, sondern um ein Foto handelte, auf dem ein Gebäude zu sehen war. Ein Gebäude, zu dem ich mir einbildete es während meines Spazierganges bereits gesehen zu haben.

Bei jenem Gebäude handelte es sich um das denkmalgeschützte Gebäude der ehemaligen Markthalle, in dem heute ein Aldi-Markt zu finden ist. Ein sehr historischer Bau, wie ich später herausfand.

Bis zum Jahre 1907 war an der Stelle der heutigen Markthalle nichts weiter vorzufinden, als ein offener Holzschuppen. Dieser gehörte in vergangener Zeit zu dem Dampfsägewerk von J.G. Glitzner. Wenige Jahre später wurde er abgerissen und stattdessen wurde an genau diesem Ort ein Lager- und Verkaufsgebäude für Waren- und Genussmittel erbaut, eine Markthalle sozusagen. Die Gestalt der Markthalle zu diesem Zeitpunkt ist jedoch keineswegs mit der zu vergleichen, die wir heute kennen. Das Gebäude wurde lediglich mit einem unspektakulären flachen Pappdach auf Holzschalung abgedeckt.

Anzeige für die Einweihung und Eröffnung der „Alten Markthalle“ 1909

Drei Jahre später wurde die Markthalle in ein Lichtspieltheater umfunktioniert. Dabei veränderte sich das Äußere zunehmend in das Erscheinungsbild, was uns heute erhalten ist. Signifikant dafür ist die hohe gewölbte Decke von riesigen Ausmaßen. Ohne Säulen als Stützen, um die ungehinderte Sicht der Zuschauer von 750 Sitzplätzen auf das Bühnenbild zu gewährleisten.
Am 11. Oktober 1912 wurde das Ost-Passage Theater eröffnet. Die Eröffnungsvorstellung war ausverkauft. Im Laufe der Jahre erhielt das Theater den Namen „Lichtschauspielhaus“. Aufgrund eines Geldmangels für Instandsetzungsarbeiten, erforderlichen Umbaumaßnahmen und des schlechten Bauzustandes wurde schließlich am 31.12.1962 der Vorführbetrieb eingestellt.
Im Anschluss daran wurde das Gebäude als Lagerraum genutzt, später stand es leer.

1968 wurde die ehemalige Markthalle erneut umfunktioniert. Diesmal diente es zum Gemeindehaus der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, der Mormonen.
Sie führten die notwendigen Renovierungsarbeiten für ihr neues Gemeindehaus selbst durch. Die Inschrift „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“ am Portikus des Gebäudes auf dem Foto verrät, dass es in nur wenigen Jahren danach aufgenommen worden sein muss. Der Schriftzug war aufgrund einer Durchfahrt direkt von der Eisenbahnstraße aus zu sehen. Da die DDR-Regierung verhindern wollte, dass dieser Schriftzug die Aufmerksamkeit der Passanten der Eisenbahnstraße auf sich zieht, mussten die Mormonen den Schriftzug, der von ihnen selbst gemalt worden war, vollständig weiß überstreichen. 1986 wurde ein neues Gemeindehaus der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage in der Oeserstraße 39 erbaut, weshalb sie aus der ehemaligen Markthalle auszogen. Danach wurde es als Lagerraum der Karl-Marx-Universität (heutige Universität Leipzig) genutzt. Später stand es leer und verfiel zusehends.


Der verfallene Zustand des Gebäudes im Jahre 1996 , Foto: S.Straube

Im Dezember 2004 wurden Abbrucharbeiten der Häuserzeile Eisenbahnstraße 68-72 vorgenommen, wodurch der architektonisch auffällige Bau für die Öffentlichkeit wieder sichtbar war und die Aufmerksamkeit wieder auf sich zog. Gespräche wurden geführt das Gebäude der Alten Markthalle wieder als Markthalle herzurichten und als solche zu nutzen. Der Lebensmitteldiscounter Aldi bekundete sein Interesse und es wurde nach Lösungen gesucht, dies umzusetzen, da das Gebäude immer noch unter Denkmalschutz stand. So wurde der Supermarkt durch die historische Halle „hindurchgeschoben“ und erstreckt sich über den Freiraum zwischen der Halle und dem Nachbarhaus, welches als ehemalige Lederwarenfabrik bekannt ist, und reicht in jenes hinein. Dies erforderte eine Sanierung der schlichten Klinkerfassade, des Tonnengewölbes und des historischen Eingangsbereiches mit der Schmuckfassade (Portikus), den Fenstern und Türen. Am 26. Oktober 2009 wurde der Supermarkt Aldi eröffnet und ist bis heute in Betrieb. Deutschlandweit ist diese „Alte Markthalle“ das einzige erhaltene Beispiel einer solchen Umnutzung.


Wie die Markthalle heute (April 2012) aussieht, Foto: Juliane Lutter

Quellen:
Markthalle, Kino, Mormonenkirche

Lichtschauspielhaus

Bilder des Gebäudes aus dem Jahre 1996
Nahversorgungszentrum „Block22“
Leipziger Osten Juni 2009 – Supermarkt im Endspurt

weitere Links:
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Autor:
Juliane Lutter

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